Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Wurst

Alles Wurst

Titel: Alles Wurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Guesken
Vom Netzwerk:
»Der Professor ist leider nicht da«, sagte sie schulterzuckend. »Sprechstunde an der Uni. Keine Ahnung, wann er zurück ist.«

    »Eigentlich wollte ich auch zu Ihnen«, sagte ich. »Es geht um einen Ihrer Klienten, Jens Defries.«

    Malin geleitete mich in die Küche. Es roch nach dem Nicaragua-Tee, den ich mir in der KSG zugemutet hatte. Gebrauchtes Geschirr stand zu atemberaubend hohen Türmen aufgestapelt. In einem Aschenbecher lag eine Kippe, die mit dem Rest eines Räucherstäbchens um die Wette glühte.

    »Ich spreche grundsätzlich nicht über Klienten«, erklärte die Frau im Bademantel. »Das gebietet die Schweigepflicht.«

    »Also gut«, sagte ich. »Dann erzählen Sie mir etwas über den Professor.«

    »Tut mir leid. Aber der war auch mal mein Klient. So haben wir uns kennengelernt.«

    »Sie sind mit ihm zusammen?«

    »Nicht wirklich. Unser Verhältnis ist rein sexuell. Von Theologie verstehe ich nicht das Geringste. Als Therapeutin sage ich Ihnen aber: Siegberts Theorien sind genau das, was man in unseren Fachkreisen als Schwachsinn in Reinform bezeichnet.« Malin nahm eine der ungespülten Tassen, die aus einem Dritte-Welt-Laden stammte, braun getöpfert mit gelben Figuren darauf. »Wollen Sie einen Kaffee oder eine Carobmilch?«

    »Carobmilch?«

    »Wenn Sie die nicht kennen, sollten Sie lieber die Finger davon lassen«, sagte sie und goss mir Tee ein. »Sehen Sie, ich meine natürlich nicht die Theologie als solche, auch wenn viele das durchaus so sehen mögen. Siegbert ist sauer auf die Schwarzröcke, weil sie ihm den Stuhl vor die Tür setzen wollten. Deshalb hat er sich mit dieser Frau Nebel zusammengetan. Er will es diesen Herren heimzahlen.«

    »Frau Nebel vom Münster Marketing? Erzählen Sie mir etwas darüber.«

    »Die beiden haben irgendwelche geheimen Pläne ausgeheckt.« Malin duftete. »Tut mir leid, aber ich wurde leider nicht eingeweiht.« Sie zog ein Päckchen Tabak aus der Tasche, setzte sich an den Tisch und begann, eine Zigarette zu drehen. »Für Defries gilt übrigens im Grunde Ähnliches.«

    »Was denn?«

    »Er hat sich meiner Einschätzung nach in eine religiös bedingte Schizophrenie hineingesteigert. Ich selbst nenne es einen Messiaskomplex.«

    »Sie meinen, weil er den Jan van Leiden spielen wollte?«

    »Er erzählt jedem, dass er ihn nur spielen will, aber in Wirklichkeit will er van Leiden sein.« Malin ließ ihre Zunge über den Klebestreifen ihrer Zigarette gleiten. »Und das halte ich vom therapeutischen Standpunkt aus für bedenklich.«

    »Haben Sie die Sache auch schon mal von der anderen Seite betrachtet?«

    »Von welcher anderen Seite? Es gibt keine andere.«

    »Was wäre, wenn sich eines Tages herausstellte, dass Defries wirklich eine Art Messias ist? Zugegeben, es ist völlig unwahrscheinlich, aber es könnte doch immerhin sein, dass −«

    Malin kniff die Augen zusammen, und als sie sie wieder öffnete, leuchtete berufliches Interesse in ihnen auf. »Wenn Sie wollen, können wir gern auch für Sie den Termin für eine Probesitzung vereinbaren.«

    »Schon gut, kein Bedarf.« Ich hob die Hände. »Eigentlich dürften Sie mir das alles gar nicht erzählen.«

    »Da haben Sie recht«, nickte Malin und qualmte. »Wegen der Schweigepflicht. Also vergessen Sie es gleich wieder.«

    »Nur noch eine Frage: Wo würden Sie als seine Therapeutin Jens Defries suchen?«

    »Messianismus«, dozierte Malin, »ist eine extreme Strategie unscheinbarer Menschen, sich Aufmerksamkeit und Bedeutung zu verschaffen. Es gibt noch andere, denken Sie an Stigmatisierung oder den Wahn, mit Außerirdischen Kinder gezeugt zu haben. Zur Rolle des Messias allerdings gehört, dass man von der Welt abgelehnt wird. Also zieht man sich zurück und macht sich unsichtbar, in der Hoffnung, auf diese Weise für die Umwelt wieder interessant zu werden.«

    »Und was dann?«

    »Fragen Sie lieber: Was, wenn nicht? Was geschieht, wenn er kein Stein des Anstoßes ist, sondern ein normaler Kieselstein, und die Aufmerksamkeit, die er begehrt, nicht bekommt?«

    »Was dann?«

    »Dann könnte sich all das, was sich über die Jahre hinweg in ihm angestaut hat, eines Tages entladen.«

    »Dass es dazu kommen wird, ist unwahrscheinlich. Man hat seinen Wagen eben aus dem Venner Moor gefischt.«

    Malins emotionale Teilnahmslosigkeit ließ auf hohe therapeutische Kompetenz schließen. »Er ist also tot?«

    »Die Kripo geht davon aus. In dem Auto fand sich eine Zeichnung, die einen Mann zeigt, der

Weitere Kostenlose Bücher