Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Föderation auch einen Vertrag mit einer amerikanischen Firma ab, die für 5 Millionen Dollar geheime Konten Gorbatschows ausfindig machen sollte. Das wurde mir erst später bekannt, als diese Firma eine Liste mit 22 Personen vorlegte, alles Mitglieder von Gajdars Regierung oder Leute, die ihm nahestanden.
Den wichtigsten Fernsehkanälen wurde verboten, mich zu Wort kommen zu lassen. Wegen eines anderthalbminütigen Interviews mit mir wurde einem Journalisten die Arbeit beim Fernsehen gekündigt. Es herrschte ein totales Verbot.
Bei einer meiner Reisen nach St. Petersburg brachte mich Sobtschak in einer Gästevilla unter. Zum Programm gehörte ein Gespräch mit ihm. Aber wie man mir später erzählte, kam ein Anruf von Jelzin: »Mit wem willst du arbeiten, mit mir oder mit Gorbatschow?«
Anatolij Sobtschak kniff, alles wurde umorganisiert. Natürlich ging die »neue Elite«, als sie sah, wie Jelzin mit dem Präsidenten der UDSSR umsprang, sofort zum Angriff über.
Übrigens muss ich Putin gegenüber, den ich damals kennenlernte, Gerechtigkeit walten lassen. Als Erster stellvertretender Bürgermeister St. Petersburgs kümmerte er sich um mich, holte mich ab und begleitete mich bei meinen Reisen durch die Stadt, wobei er ein großes Taktgefühl, echte Gastfreundschaft und ein feines Verständnis kommunaler und weit darüber hinausgehender Probleme bewies.
Aus heutiger Sicht …
Als ich die Kapitel dieses Buches diktierte und zu meiner Wahl zum Generalsekretär kam, rief meine Schreibkraft: »Michail Sergejewitsch, heute ist der 11 . März!«
Ja, der 11 . März, aber nicht 1985 , sondern 2009 !
Die Bewertung der Perestrojka-Jahre hat sich in unserer Gesellschaft stark geändert. Die Zahl derjenigen, die der Meinung sind, die Perestrojka sei unabdinglich gewesen, hat sich erheblich erhöht. Vor zehn Jahren war es nur eine Minderheit. Trotzdem ist die Zahl derjenigen, die auch heute noch meinen, die Perestrojka sei nicht nötig gewesen, recht hoch, etwa ein Drittel. Wenn man berücksichtigt, dass die Perestrojka nicht nur unter Jelzin, sondern auch jetzt noch in politischen Kreisen totgeschwiegen oder kleingeredet wird, die neunziger Jahre und die Jahre unter Putin dagegen zunehmend in den Himmel gehoben werden, so hat die gestiegene Unterstützung der Perestrojka zum 25 . Jahrestag ihres Beginns einen hohen Stellenwert.
Ich werde oft gefragt: Hat die Perestrojka eine Niederlage erlitten oder hat sie gesiegt? Meine Antwort darauf lautet: Die Perestrojka ist abgerissen, genauer: Man hat sie verhindert. Aber ihre Errungenschaften sind nicht umkehrbar. Die Strategie der Perestrojka wurde von einer Strategie der Zerstörung von Sowjetunion, Wirtschaft und sozialem Versorgungssystem abgelöst. All das geschah auf einen Schlag, was die Entwicklung unseres Landes mindestens für ein Jahrzehnt gebremst hat.
Jetzt, aus der Distanz, da ich mehr Informationen habe, überblicke ich viele Dinge und Ereignisse der damaligen Zeit besser, aber meine prinzipielle Haltung hat sich nicht geändert: Ich würde wieder mit dem Kampf für dieselben Ziele beginnen: »mehr Demokratie und mehr Sozialismus«. Meine Überlegungen und Diskussionen mit Andropow hatten mich zu dem Gedanken geführt, dass »mehr Demokratie« auch »mehr Sozialismus« heißt. Diese Formel geht auf Lenin zurück, auf die letzte Periode seines Lebens, als ihm klar geworden war, dass die Entwicklung des Landes eine falsche Richtung genommen hatte.
Das Wesen der Perestrojka besteht in der Überwindung des totalitären Systems, im Übergang zu Freiheit und Demokratie. Das totalitäre System und die an seinen Übeln krankende Gesellschaft, ebendas wollte die Perestrojka überwinden. Das ist der Schlüssel zum Verständnis der Intentionen der Perestrojka. Der Glaube daran, wenn die Sowjetmenschen die Freiheit bekämen, würden sie Kreativität und konstruktive Energie entfalten, die unabdingliche Voraussetzung für Reformvorhaben.
»So kann es nicht weitergehen!« Diese Losung entstieg der Tiefe des realen Lebens. Die hochgebildete Gesellschaft erstickte in der Unfreiheit. Die Perestrojka lag in der Luft. Es war die Zeit, da sich im Westen tiefgreifende Strukturveränderungen vollzogen und die westliche Gesellschaft trotz aller Schwierigkeiten und Probleme in eine neue technologische Epoche eintrat und eine noch höhere Produktivität erreichte.
Das totalitäre System der Breschnew-Ära war mit den Herausforderungen der neuen Entwicklungsphase
Weitere Kostenlose Bücher