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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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ich mir ein cremefarbenes Oberhemd, auch wenn es mir zu weit war.
    Er stand in der Küche mit einer Kaffeetasse in der Hand. Auch er war im Montag angekommen und trug einen cognacfarbenen Dreiteiler mit Schlips. Seine Miene war ernst. »Jürgen hat eben angerufen«, sagte er. »Victor ist tot.«
    Ich musste mich auf den Küchenschemel setzen und Cipións Morgenbegrüßung dämpfen.
    »Er ist heute früh gegen vier Uhr gestorben, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben. Barbara war bei ihm.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt ist es ein Tötungsdelikt. Sie werden meine Mutter wohl nicht so schnell wieder rauslassen.«
    »Aber sie war es nicht.«
    Richards Augen glitzerten ausgesprochen schräg. »Kann ich mir da wirklich sicher sein?«
    Die Sachlage hatte sich schneller geändert, als ich mit meinem Verstand hinterherkam. »Ich habe jetzt einen Termin mit Dr. Zittel im Waagenmuseum«, teilte ich mit, weil mir nichts anderes zu sagen einfiel.
    »Ich werde mich heute Mittag mit dem Anwalt meiner Mutter in Hechingen treffen. Der Termin beim Haftrichter ist am frühen Nachmittag.« Er nahm einen Schluck Kaffee. »Wenn du nichts dagegen hast, dann würde ich mitkommen ins Waagenmuseum. Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt dort war. In meiner Erinnerung ist es eine wahre Rumpelkammer.«
     
    Dr. Zittel wartete an der Tür des Zollernschlössles. Sein weißer Haarkranz schwebte auf dem frischen Lüftchen, das von der mächtig rauschenden Eyach herüberstrich. Er hatte einen Schlüssel, denn offiziell machte das Museum erst um zwei für zwei Stunden auf, und geizte nicht mit Erklärungen, wie er ihn organisiert hatte. Wir stiegen in den ersten Stock hinauf.
    Richards Erinnerung an eine Rumpelkammer war nicht völlig verkehrt. Fünfhundert Exponate und die gesamte Geschichte des Waagenbaus in einem mittelalterlichen Saal und einem Nebenraum, da mussten Ratswaagen, Bäckerwaagen, Chemikerwaagen, Butter- und Metzgerwaagen, Haushaltswaagen, Apothekerwaagen, Gewürz- und Teewaagen, Münz- und Goldwaagen, Analysewaagen, Dezimalwaagen, Personenwaagen, Laden- und Industriewaagen mit den Gewichten aus Stein, Eisen, Messing und Johannisbrotbaumsamen in den dicht an dicht stehenden Vitrinen eng zusammenrücken.
    »Waagen sind so alt wie die Menschheit«, dozierte Zittel. »Sehen Sie hier, die römische Schnellwaage. Wer die erfand, musste die Hebelgesetze kennen! Genial einfach. Aber drauf kommen muss man halt, gell. Laufgewichtswaage nennt sich das. Kennen Sie sicherlich noch von Ihrem Kinderarzt. Dieses Ding mit dem Balken, wo er die Gewichte hin und her schob. Und Sie haben sich immer gefragt, woher er das weiß, wie viel Sie wiegen.«
    Richard stellte sich auf die alte Bahnhofswaage neben einem blau gekachelten Kamin und suchte in seinem Portemonnaie klimpernd nach einer geeigneten Münze für den Einwurf.
    Die urtümliche Wandneidungswaage von David Hahn aus Balingens Ostdorf, ein verschnörkeltes Stück Eisen, hing hinten neben den Fenstern zur Eyach. Die ausgeklügelte Neigungswaage seines Bruders, des Mechanikerpfarrers Philipp Matthäus Hahn, befand sich dagegen gleich neben dem Eingang in einer Vitrine mit Erklärtext.
    »Man sollte gar nicht denken, dass es eine Kopie ist«, bemerkte ich.
    »Was?«, entfuhr es Zittel.
    »Ja«, rief Richard von der Bahnhofswaage herüber, »das Original hängt im Arbeitszimmer meines Vaters. Das hier ist ein Gesellenstück.«
    »Ich glaube, Sie irren sich, Herr Weber. Martinus hat mir das Gesellenstück gezeigt. Das hier ist das Original, da bin ich absolut sicher.«
    »Gewogen und zu leicht befunden«, murmelte ich.
    »Wie?« Das hatte Zittel ausnahmsweise mal gehört.
    »Ich meinte nur: Das Pfund auf dieser Waage wiegt nur 467 Gramm, 33 Gramm weniger als unseres.«
    »Ja, die Zahl für das Alte und das Neue Testament«, sagte Zittel erfreut lächelnd. »Sie haben schon ein bisschen in meinem Buch gelesen, gell? Martinus hat mich darauf aufmerksam gemacht. Das Wort alt hat 3 Buchstaben. Das Wort neu auch. 33 ist also das Alte und das Neue Testament.«
    Ich erlitt ein D6jävu. Bei Richard, der mir erst gestern denselben Zahlenzinnober erzählt hatte, schien der Flashback allerdings eher einem Mescalintrip zu gleichen. Er war aschfahl geworden.
    »Und die Zahl der Bücher des Alten Testaments, 39, und die des Neuen, 27, subtrahiert, ergibt 12«, rechnete Zittel begeistert weiter. »Wie die zwölf Apostel, die zwölf Monate des Jahres … Ist Ihnen nicht gut, Herr Weber?«
    Richard hustete.

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