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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Ihren Sohn. Ich werde mal was schreiben über die Vereinbarkeit seiner Spermienforschung mit dem christlichen Schöpfungsgedanken.«
    »Was? Wie meinen Sie das? Mein Sohn …«
    Ich klappte ihn zu.
    »Zittel? Ja, der schwätzt dem Teufel ein Ohr ab!«, bemerkte Barbara und hielt mir eine elastische Binde hin. »Kannst du mal?«
    Sie setzte sich auf Jürgens Stuhl, schob den Ärmel ihres hellvioletten Baumwollpullovers hoch und hielt mir das Handgelenk hin. Ich nahm den letzten Zug aus der Zigarette, löschte sie im Aschenbecher und wandte mich ihr zu.
    Eine kleine, kurze Strähne stand über ihrem Ohr aus dem Haar. Jacky sagte irgendetwas über das Wetter und dass wieder alles überflutet sein werde. Maxi saß, das Kinn in die Hand gestützt, und guckte. Cipión streckte sich an der Spülmaschine aus und grunzte zufrieden.
    Nichts sprach dagegen, dass ich einfach blieb.
    Ich hakte die Klammern in die Bandage, hielt Barbaras Hand fest und streckte meine andere Hand aus, um ihr die abstehende Strähne hinters Ohr zu streichen. Sie zuckte zurück.
    Jacky guckte, Maxi auch.
    »Tja!«, sagte ich, ließ ihre Hand fahren und sammelte meine Gegenstände ein, Buch, Handy, Pickset, Geldbeutel. »Ich muss dann wohl auch mal los.«
    »Kommst du wieder?«, fragte Maxi.
    »Fünf Minuten noch«, sagte Jacky. »Dann kannst du deinen Kittel wieder anziehen.«
    »Komm bitte mal mit«, sagte Barbara und stand auf.
    Wir gingen hinüber ins Büro. Es war, da seine Fenster nach Westen zeigten, voll goldener Abendsonne.
    »Was willst du?«, fragte sie. »Was willst du, Lisa? Was willst du wirklich?«
    »Wie hattest du es dir denn vorgestellt? Dass ich am Tag im Laden verkaufe, Maxi bei den Hausaufgaben helfe, für Henrys Kipf Breichen rühre und nachts meine Leidenschaften entfalte? In aller Heimlichkeit. Glaubst du, die Kinder würden es nicht merken? Und Jürgen? Was machst du mit dem?«
    »Natürlich müssten wir es ihnen sagen.«
    Ich zog sie an mich. »Wann?«
    Bis zum Schambein spürte ich ihren Atem, den sie tief in den Unterleib zog. Endlich konnte ich ihr die abstehende Strähne hinters Ohr streichen. Mit einem Schlag hatte sie erneut mein Geheimnis entschlüsselt. Ich weiß nicht, wie sie es machte, war es die Art, wie sie mich anfasste, mich küsste, mit dieser Macht der Reife, dieser Schamlosigkeit, als kennte sie mich schon Jahre? Nur ich hatte sie aus irgendeinem Grund bislang noch nicht kennengelernt.
    »Wann?«, fragte ich. »Wann?«
    »Solange Victor im Krankenhaus liegt …«
    Ich befreite mich. »Es würde ohnehin nicht gehen. Niemand würde es verstehen. Deine Kinder nicht und auch sonst niemand hier in der Gegend. Ich wäre immer das perverse Ripp, das eine Familie zerstört hat.«
    »Auf das Geschwätz der Leute habe ich noch nie was gegeben. Und du siehst auch nicht so aus.«
    »Das ist was anderes. Wenn ich im Anzug herumlaufe, dann weiß ich genau, was die Leute insgeheim über mich denken. Das habe ich in der Hand. Aber …«
    »Aber ein Leben mit mir, hier auf unserem Weiberhof, das hättest du nicht unter Kontrolle? Wolltest du das sagen? Da magst du Recht haben. Denn das Leben kann man nicht kontrollieren. Man muss es leben, wie es kommt.«
    »Ich bin schon drei Mal tot gewesen, Barbara«, versuchte ich zu trumpfen. »Da nimmt man das Leben, wie es kommt.«
    »Soso. Aber ein bisschen Angst vor dem Leben bleibt immer zurück.«
    »Es muss auch solche geben wie mich. Für das Überleben unserer Art. Du weißt schon. Zu irgendwas ist es immer nütze. Auch wenn ich nicht weiß, wozu. Wenn du es herausfinden willst, dann … dann komm mit mir. Meine Bude ist groß genug. Und wenn nicht, suchen wir uns eine andere.«
    Da stand sie vor mir und rieb sich das bandagierte Handgelenk. Der Alltag übernahm wieder die Macht. Müde sah sie aus. Eine Mutter in Sorge um ihren Sohn, eine Gefangene ihres Lebens, das sie einmal vor fünfundzwanzig Jahren in genau diese Richtung gelenkt hatte. Die Grundlinie stimmte, gelegentliche Abenteuer nicht ausgeschlossen. Tröste dich, Barbara, ich bin auch gefangen.
    Mit meinen zivilisatorischen Überlebenshelfern Handy, Pickset und Geldbeutel in den Taschen der Kargohose, dem von Jacky warm gebügelten, aber doch nicht trockenen Jackett überm Arm und Zittels Buch in der Hand verließ ich den Hof in quietschnassen Golfschuhen und Jackys Sweater.
    Barbara stand in der Tür zum Waschküchengang und korrigierte mit einem Schulterruck die Aufrichtung ihrer Wirbelsäule. Vielleicht irgendwann

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