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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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einmal. Wenn alles vorbei war und neu anfing.
    Die allzu offensichtliche Gemeinsamkeit der Landmaschinentoten, die Zittel nicht sehen wollte, war ihre komplette Zerstörung. Wenn ein einziger tötender Geist dahintersteckte, dann war er seit gut vierzig Jahren tätig. Dann war es eine ganz alte Geschichte, und Barbaras Sohn war das Opfer, nicht der Täter.
    Der Abendwind fegte Tropfen aus der Blautanne, die hier nicht hergehörte. Cipión fuhr unter die Zwerghühner, die flatternd auseinanderstoben.
     
    Im Weber’schen Haus brannte nirgendwo Licht. Die Hauswand war grau in der grauen Dämmerung. Zwischen den Koniferen häufelte Hagel und dünstete eine unsommerliche Kälte aus. Cipión fußelte zielstrebig um das Haus herum. Ich folgte ihm. Der Geruch nach durchnässter Asche und verbrannten Balken kratzte in der Luft. Die Terrassentür stand offen, die Gardine bauschte sich in den dunklen Raum hinein. Cipión flutschte unter ihr hindurch. Ich musste erst das Ende erhaschen und beiseiteschieben. Er wedelte zum Strecktulpensofa hinüber, auf dem regungslos Richard lag. Sein Arm hing herab, die Hand berührte fast den Boden.
    Als Cipións kalte Nase gegen den Handrücken stupste, zuckten die Finger kurz. Richards Atem veränderte sich für zwei Züge, dann fiel er wieder in einen flachen Schlafrhythmus. Ich schloss die Terrassentür. Auch das weckte ihn nicht. Ich entfaltete das Plaid, das auf dem Pianoschemel lag, und breitete es über ihn. Sein Atem wurde tiefer.
    In der Küche fütterte ich Cipión mit den von Soße befreiten Resten der Pute. Dann faltete ich mich in einen Sessel im Arbeitszimmer und schlug Zittels Buch über die Geschichte der Waagenindustrie von Balingen auf.
    »Martinus Weber war unter den Unternehmerpersönlichkeiten Deutschlands eine Ausnahmeerscheinung. Ein Ingenieur im Geiste Luthers.«
    Rülpset und furzet …
    »Über sechs Jahrzehnte hat er nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das geistige Leben von Balingen geprägt. Auf ihn trifft das Bibelwort zu ›Lasset die Kindlein zu mir kommen, dass ich sie segne‹. Bis ins hohe Alter fand Martinus Weber Zeit und Muße, Stunden zu halten und junge Menschen an das tiefere Verständnis der Bibel heranzuführen …«
    Cipión hob den Kopf, mein Spion für alle, die hinter mir durch Türen traten. Ich drehte mich um.
    Richard lehnte in der Türfüllung und harkte die Finger durch seine Haare. Er trug einen dunkelblauen Kaschmirpullover mit V-Ausschnitt. Sein Gesicht war verquollen vom Schlaf, und er blinzelte ins Lampenlicht.
    Ich klappte das Buch zu und sprang auf. »Ah, du bist wach! Könntest du mich dann jetzt nach Balingen fahren? Zum Bahnhof. Ich verschwinde.«
    Er stieß sich von der Türfüllung ab, kam herein, nahm mir das Gleichgewicht der Welt aus der Hand, warf es auf den Tisch und zog mich an sich. Den Pullover trug er auf der bloßen Haut, wie ich feststellen konnte. Seine Muskeln waren heiß und hart, seine Lippen weich, sein Affe drängelte vor Lust, mich in seinem Elternhaus zu erkennen, gleich hier, auf dem Teppich im Arbeitszimmer seines Vaters. So säuisch wie möglich.
     

36
     
    Im Haus klingelte ein Telefon. Ich hörte Richard unten abnehmen. Kaffeeduft zog durchs Haus.
    Ich schwang die Beine aus dem Knabenbett. Die Streifschusswunde meldete sich erst jetzt mit einem kurzen Biss. Ein gutes Zeichen.
    Außerdem war endlich Montag. Neues Leben. Sonntage waren mir immer schon ein Gräuel gewesen. Erst Gottesdienst, dann ruhelose Untätigkeit. Jeder Sonntag ein Jüngstes Gericht. Die Mutter erzog, der Vater strafte, die Eltern stritten, das Kind onanierte im Kinderzimmer und wartete auf den Montag: Schule, Freiheit.
    Gestern Abend hatte ich noch geglaubt, ich hätte Richard endlich verstanden und müsste dringend weg oder aber ihm den von ihm so gefürchteten Schlag versetzen. Aber an einem Montagmorgen zerbröselten solche Vorsätze. Lotte würde auch so freikommen. Wenn Staatsanwalt und Polizei nicht mehr anführen konnten als eine Giftflasche ohne ihre Fingerabdrücke und die Überzeugung, dass Tötungsdelikte fast immer von Intimpartnern begangen wurden, dann würde der Ermittlungsrichter den Kopf schütteln. Bis zur Beerdigung am Freitag würde sie raus sein. Inzwischen hatte sich die Welt etliche Runden weitergedreht, und schon bald krähte kein Hahn mehr nach Martinus Weber.
    Ich versuchte zu duschen, ohne dass der Verband nass wurde, und stieg in Jackys Kargohose. Aus Richards mit Sorgfalt gepacktem Koffer nahm

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