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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Prinzip geschnitten, nur dass sie in die Breite gezogen war wie eine halbe Tulpe im Zerrspiegel auf dem Jahrmarkt. Das alles strahlte eine verzweifelte Moderne aus, alt und doch nicht veraltet.
    Das Klavier, das gegenüber der offenen Terrassentür mit seinen sachte wehenden Gardinen stand, war rabenschwarz. Sein Aufbau war mehrfach getreppt und mit silbrigen Metallintarsien versehen. Der Tastenblock saß auf zwei verchromten Röhren, die besser unter einen Tisch gepasst hätten. Jugendstil?, fragte ich mich, Art déco? In solcher Konsequenz hatte ich so etwas noch nie gesehen. Ein Haushalt, der in den dreißiger Jahren seine Erneuerung gestoppt hatte.
    Während die Trauergäste sich auf den Stühlen und Sesseln verteilten, klappte Richard den schwarzen Klavierdeckel hoch und ließ die Fingerspitzen über die Elfenbeintasten gleiten, ohne sie anzuschlagen. Im Kopf klimperte er zweifellos die Etüden ab, die er als Kind gespielt hatte. Die Musik als Übungsqual und Flucht aus der Enge des Vaterhauses.
    Jacky brachte noch Stühle. Die Oma sank in einem der Tulpensessel in sich zusammen. Auf dem Strecktulpensofa reihten sich Damen. Hermine, die mit den blauen Augen, sagte zu Lotte: »Wer hätt au denkt, dass es so schnell goht. Erst am Mittwoch hemmer uns zur Schtund gsähe. Da ischs au um Hiob gange. Sind wir nicht alle wie Hiob, wenn wir auf unser Leben zurückblicken? Vermögen weg, Kinder weg.«
    Aus den Augenwinkeln schickte sie einen Blick zu Richard hinüber, der sich auf die Pianobank gesetzt hatte und den Gespenstern den Rücken zukehrte.
    »Hiob verliert Hof, Gesinde, die Söhne, die Frau, die Töchter, weil Gott dem Satan freie Hand lässt. Aber wer denkt eigentlich an die Opfer, die Frau und die drei Töchter, habe ich zu Martinus gesagt. Die sind tot und kein Hahn kräht danach. Für die Herren der Schöpfung sind wir halt doch nur eine Strafe Gottes, gell, Herr Pfarrer?« Sie lachte.
    Pfarrer Frischlin strich sich den Bart. Der Cousin mit den Lochschuhen raunte unnachgiebig auf ihn ein. »… den Männern wieder Zugang zu ihrer Spiritualität schaffen«, wehte sein Geflüster in Böen zu mir herüber. »… kirchliche Männerarbeit …«
    »Ja, Herr Pfarrer«, rief Hermine hellhörig, »Ihre Männergottesdienste scheinen ein echter Erfolg zu sein.«
    Richard schlug einen Akkord an.
    Schweigen fuhr unter die Gesellschaft wie eine Sturmbö und wehte die Gesichter in seine Richtung. Richard ließ die Finger nach Tönen suchen, fand, was er suchte, konzentrierte sich plötzlich, vergaß die Welt, in der er lebte, und spielte sich virtuos in eine Melodie hinein, die mir wie ein Requiem vorkam, weil es nahe lag und Richard sich üblicherweise an die Etikette hielt.
    Da ich zu Männergottesdiensten und Requiems nichts zu sagen hatte, ging ich, wie es sich für den Chauffeur gehörte, die Küche suchen. Sie war von bequemer Größe, aber wie geschleckt. Die Spüle blitzte, die Gewürze im Regal standen alle mit den Schildchen nach vorn. Nur Schalen mit belegten Broten störten die ungastliche Leere. Richards Cousine Barbara verteilte saure Gürkchen. Jacky nahm eine Platte nach der anderen und schichtete sie sich wie eine Kellnerin auf den linken Unterarm. »Platz da!«, schrillte sie mich an und eilte hinaus.
    Barbara warf mir einen prüfenden Blick zu. »Ist das Rocky, ich meine, Richard, der da spielt? Er kann’s also noch.«
    Ich nickte. »Rocky?«
    »So habe ich früher zu ihm gesagt. Wir hatten einen amerikanischen Comic. Keine Ahnung, wie wir an den gekommen sind. Er war das fliegende Eichhörnchen Rocky, und ich war Bullwinkle der Elch. Wir mussten die Welt vor den pottsylvanischen Schurken retten. Und du bist also die berühmte Lisa Nerz.«
    »Wieso berühmt?«
    »Na, Richards Ripp, die ausgeflippte Freundin. Was hast du denn gedacht, warum du berühmt bist?«
    »Hätte ja sein können, dass Sie Zeitung lesen.« Ich fragte mich, warum es mir misslungen war, sie ebenfalls zu duzen.
    »Ich bin Analphabetin. Trittst du auf, oder was hätte ich über dich in der Zeitung lesen sollen?«
    »Als was sollte ich auftreten?«
    Bullwinkle musterte mich von oben bis unten. »Als … wie heißt das? Transvestit?«
    »Das sind die andersherum«, erklärte ich. »Männer in Frauenwäsche. Wer sagt überhaupt so was?«
    Sie zuckte mit den Schultern und holte ein Glas Mixed Pickles aus der Speisekammer.
    »Nur Lotte scheint noch nichts von mir gehört zu haben.«
    »Natürlich nicht! Im Hause Weber wird doch über so was

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