Allmachtsdackel
nicht gesprochen!« Barbara schob mir das Glas Mixed Pickles hin. »Kannst du? Ich habe mir vor zwei Monaten das Handgelenk gebrochen.« Sie rieb sich die rechte Handwurzel.
Ich stemmte mich gegen das Vakuum, bis sich der Deckel mit einem Pfupp löste. Saure Möhren, Blumenkohlstücke und Perlzwiebeln kullerten in eine Kristallglasschüssel, die Barbara mir hinstellte. Der Essig trieb mir Kindheitserinnerungen in die Nase. Ich schnaubte.
»Ist was?«
»Das Zeug enthält Benzoesäure. Ein Konservierungsmittel für saures Gemüse. Ich bin dagegen allergisch.«
»Na so was!«
Sie holte Apfelmost aus der Speisekammer und zwei Bierflaschen aus dem Kühlschrank. Jacky kam zurück, nahm die Mixed Pickles und die Flaschen und verschwand erneut.
»Und was«, fragte Barbara, »wolltest du bezwecken mit deiner Anspielung: plötzlich und unerwartet verstorben!«
Es war auf einmal sehr still im Haus. Richard hatte sein Requiem beendet.
»Du wolltest doch nicht andeuten, dass jemand Martinus ins Jenseits befördert hat?«
»Nein, ich wollte andeuten, dass Sie es waren.«
Sie lachte.
»Er könnte es natürlich auch selbst getan haben.«
»Ist Selbstmord nicht eine Sünde?«
»Nur, wenn wir das Gebot ›Du sollst nicht töten‹ auf uns selbst anwenden. In der Bibel gibt es kein direktes …«
Ein Handy klingelte. Meines war es nicht.
Barbara griff sich in die Hosentasche. »Binder!«, sagte sie mit tiefer Stimme, die mir unter die Haut kroch.
»Jürgen, ja, was gibt’s? … Die Rinder? … Wo? … Ich komme!« Eine Schrecksekunde kannte sie offenbar nicht. Schon war sie aus der Küche gelaufen. »Jacky!«, rief sie, dass es durchs Haus hallte. Jacky erschien stumm wie ein Vorwurf in der Wohnzimmertür. »Die Herde ist im Altort«, sagte Barbara.
»Schitt!« Auch Jacky kannte keine Schrecksekunde. »Ich gehe Samanta holen.« Sie lief durchs Vestibül und stürzte hinaus. Die Haustür fiel mit einem Rums ins Schloss.
»Wo ist eigentlich Maxi?«, fragte Barbara und schaute mich an.
»Wer ist Maxi?«
»Meine Jüngste.«
Oh! Dann war Barbara die Mutter der drei rotblonden Mähnen. »Oben, glaube ich.«
»Sag ihr, sie soll die Oma nach Hause bringen. Und entschuldige mich bei den anderen.«
Auch Maxi hatte Licht im Sterbezimmer gemacht. Sie hockte an der Bettkante und betrachtete Martinus’ Profil von der ironischen Seite. Zwischen Top und Hosenbund lagen viel samtig braune Haut und die rosafarbene Triangel des Stringtangas bloß. Eine leises Klimpern umwehte sie. Es rührte von einem Bettelarmband her, an dem neben einer Hasenpfote Osterhasenglöckchen, ein Rosenkranzkreuz und durchbohrte Steinchen baumelten.
»Auf der anderen Seite sieht er ganz anders aus,« bemerkte sie. »Er hat zwei Gesichter.«
»Und welches war seines im Leben?«
»Keines von beiden. Es fehlt die Seele.«
»Das liegt daran, dass er nicht mehr reagiert. Unsere Seele besteht aus Muskelspannungen.«
Maxi lächelte. »Glaubst du wirklich, dass er ermordet wurde?«
»Hätte jemand einen Grund gehabt?«
Maxi zuckte mit den Achseln und stand leise klimpernd auf.
»Übrigens, ich soll dir von deiner Mutter ausrichten, dass die Rinder im Altort sind und dass du die Oma nach Hause bringen sollst.«
»Warum ich? Das kann Henry doch machen.«
»Henry?«
»Henry heißt eigentlich Henriette und ist meine älteste Schwester. Sie hat sich in Hamburg ein Kind machen lassen und lebt mit dem Kipf wieder bei uns. Jacky heißt eigentlich Jacqueline und ist meine Zweitälteste Schwester. Ich bin die Jüngste und heiße Maximiliane, aber alle sagen Maxi zu mir. Außerdem habe ich noch einen Bruder. Er heißt Victor, aber wir nennen ihn Vicky. Er kommt nach Henry und vor Jacky und studiert in Hohenheim Biologie. Er schreibt seine Diplomarbeit über unsere Rinder. Es sind nämlich ganz besondere Rinder. Sie leben wie früher die Auerochsen: Kühe, Kälber, Stiere, alles durcheinander.«
»Die Archerinder?«, fragte ich. »Das sind eure?«
Maxi lächelte und nickte. »Hat Onkel Richard dir nichts von uns erzählt? Du bist doch seine Freundin, oder nicht?«
»Wie man es nimmt.«
»Aber entstellt bist du nicht.« Sie musterte mich fast enttäuscht. »Man sieht deine Narben ja kaum.« Ihr Blick wanderte über meinen silbergrauen Leinenanzug und gewann an Glitzer zurück. »Es heißt, du trägst Männeranzüge und gehst in Klubs.«
»Wer sagt das?«
Maxi zuckte mit den Schultern und ging zur Tür. »Die Leute. Papa.«
»Geht er in solche
Weitere Kostenlose Bücher