Allmachtsdackel
über die Verarbeitung und Verbreitung hochwertiger Agrarpodukte. Ich wühlte kursorisch auf und im Schreibtisch. Im Bücherregal lehnten sich allerlei biologische Atlanten und Grundlagenwerke aneinander. Neben dem Bett stand ein halb ausgepackter Rucksack.
Ich fingerte mich durch die Taschen und förderte eine Rechnung für ein Restaurant in Playa del Ingles zutage, dem bekanntesten Stadtteil von San Bartolomé de Tirana auf Gran Canaria. Dort konnten schwule Jungs ungeniert in aller Öffentlichkeit aneinander herumfummeln, wie mir mein einschlägig erfahrener alter Freund Krk unlängst ausführlich geschildert hatte. Gambas, chuletas de cordero, flan de la casa und vino tinto für zwei Personen. Lecker! In einer Seitentasche des Rucksacks fand ich dann den Rest einer Bordkarte für einen Rückflug von Gran Canaria nach Zürich am Sonntag vor einer Woche. Die Restaurantrechnung stammte vom Mittwoch davor. Wenn ich die Daten auf Vickys Navi richtig deutete, hatte er sich also eine Woche auf Gran Canaria aufgehalten. Und vermutlich nicht alleine. Am Samstag vor seiner Fahrt zum Flughafen Zürich vor zwei Wochen hatte er den mir unbekannten schweizerischen Ort Chippis angesteuert. Warum, wenn nicht, um dort seinen Begleiter für den Gay-Trip nach Gran Canaria abzuholen.
Zusammen mit Cipión kehrte ich in Barbaras Büro zurück und googelte nach Chippis. Der Ort lag im Wallis in unmittelbarer Nachbarschaft von Sidon und Sierre. Ein Raftingparadies. Mir wurde flau.
Ich klügelte eine Reihe zielführender Suchbegriffe aus und landete bei einem christlichen Jugendfreizeitveranstalter namens Natura Christi mit Sitz in Basel, der in Sierre ein Zeltlager unterhielt. Im Basler Büro meldete sich niemand. Es war Samstagnachmittag. Aber die Police Cantonale in Sierre verhalf mir zur Telefonnummer der Lagerverwaltung. Nach einer Weile ging dort auch tatsächlich jemand ran. Ich stellte meine Frage nach Jannik Filser auf Französisch. Wozu hatte ich mal Fremdsprachentippse gelernt. Ja, der sei am Samstag vor zwei Wochen angereist, aber am nächsten Tag bereits wieder abgereist, weil seine Mutter plötzlich krank geworden sei.
Das war jetzt kein Spiel mit Hypothesen mehr. Ich lehnte mich zurück. Jemand musste es den Müttern sagen. Janniks Mutter und Barbara. Welcher zuerst?
Im Laden im alten Bauernhaus herrschte Hochbetrieb, Maxi, Henry und Jacky bedienten zu dritt. Das Kipf schlief im Kinderwagen neben der Kasse. Eine Katze stolzierte mit hoch erhobenem Schwanz am Nudel- und Teeregal entlang. Das fand Cipión zu Recht nicht in Ordnung. Allerdings hatte auch er nichts unter der Fleischtheke zu suchen.
»Wo ist Barbara?«
»Sie wollte zum kaputten Zaun hinüber«, schrillte mir Jacky über die Köpfe ausgemergelter Naturapostel und ausgehungerter Bio-Frauen hinweg zu. »Nimm das Brett«, ergänzte sie überraschend zuvorkommend.
Es war ein stabiles Brett, das man hinter dem Laden über die Eyach gelegt und halbwegs befestigt hatte. Cipión war schneller drüben, als ich Angst haben konnte. Ich balancierte hinterher. Ein Pfad führte durchs Ufergebüsch direkt auf die Westweide. Auf der anderen Seite am Fuß des Hangs von Frommern kuschelte zwischen dornigen Schlehen und Hundsrosen ein Gartenhäuschen, das mir heute Morgen gar nicht aufgefallen war, als ich mit Maxi und Barbara längs durchs Tal eilte. Eine weinbergschmale Treppe führte von seinem Sockel senkrecht den Hang hinauf.
Ich wandte mich auf Kuhpfaden nach Westen, wo die Eyach ihren Bogen zurück zum Hang von Frommern schlug.
Die Spurensicherung hatte ihre Absperrbänder schon wieder abgeschnitten. Ziemlich voreilig! Die Eyach kroch grünlich über Geröll und Ölschiefer durch die Kurve. Alles, was an Säften aus dem Toten geflossen war, hatte sie mitgenommen. Nur die Fliegen wussten noch, wo er gelegen hatte. Und auch Cipión, denn er hatte die Rute gesenkt.
Wie Zähne aus einem parodontösen Gebiss waren die Zaunpfähle aus dem bröseligen Boden gebrochen worden. Barbara fußte im Staub und rammte einen Pfahl zurück ins Loch, aber er neigte sich, kaum ließ sie ihn los.
Die Sonne modellierte die Rundung reifer Weiblichkeit in den Jeans. Mittig zwischen den aufgesetzten Hintertaschen grub sich die Doppelnaht, begleitet von verzückten Fältchen, zwischen die Backen und schlüpfte unters Gesäß. Das hellgrüne T-Shirt war ihr hinten aus dem Gürtel gerutscht. Sie wischte sich mit der Hand den Schweiß aus dem Nacken und drehte sich langsam zu mir um.
»Was
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