Allmachtsdackel
die Straße. Zum Weber’schen Haus waren es nur noch zwei Gartentörchen.
Richards Wagen stand erwartungsgemäß am Ende der Zufahrt. Der Rasen hinterm Haus war gut gewässert und grün. Eine saftstrotzende Eibenhecke verstellte den Blick auf die Fabrikruine. Neben der Garage buschte ein prächtiger Kirschlorbeer. In den Töpfen auf den Terrassenecken blühte der Oleander. All diese Giftpflanzen wurden noch getoppt vom Blauen Eisenhut, dessen dutzende Kerzen sich harmlos wie ein Unkraut am Zaun zum Tal reckten.
Cipión trabte direkt auf die Terrassentür zu, die immer noch offen stand. Ich trat hinter ihm ein und erschreckte Lotte Weber zu Tode. Sie hupfte aus dem Polster des Strecktulpensofas hoch und ließ sich mit der Hand auf dem Herzen wieder fallen. Das brachte Pfarrer Frischlin, der neben ihr saß, so ins Wippen, dass er mit einem Fliegenklatschenschlag nach dem Blöckchen haschen musste, das er auf den Knien liegen hatte.
»Jessus, Kind! Müssen Sie uns so erschrecken?«
Richard saß im Tulpensessel und musterte mich. Er sah mir immer alles an, Gewissen und Gewissenlosigkeiten.
»Ich brauche mal dein Auto«, sagte ich. »Guten Abend auch, Frau Weber, Herr Frischlin, und entschuldigen Sie die Störung.«
Frischlin nickte gnädig. Lotte lächelte erwartungsvoll.
Schweigend versenkte Richard seine Hand in der Innentasche seines Jacketts, während er mit der anderen Cipión hinter den Schlappohren kraulte, und zog sie mit seinem Autoschlüssel wieder heraus. Im Gegensatz zu seiner Mutter, deren Erwartung sich immer breiter in die Backen lächelte, wusste er, dass jegliche Frage nach meinem Woher und Wohin nur eine Front für Wortgefechte aufgemacht hätte, die er für sinnlos hielt.
Ich zupfte den Schlüssel aus seinen Fingern.
»Aber Sie sind doch zum Abendessen wieder hier, Kind?«, fragte Lotte. »Ich muss jetzt hier nur mit dem Pfarrer noch den Trauergottesdienst besprechen.«
»Äh!«
»Ja«, sagte Richard plötzlich und sprang auf. »Wir sind zum Abendessen wieder da.« Im nächsten Moment standen wir draußen auf der Terrasse. »Nimmst du mich mit?«
»Wohin?«
»Egal.«
»Möchtest du fahren?« Ich reichte ihm den Schlüssel zurück.
Ein Lächeln huschte über seine im Haus seiner Mutter ausgehöhlte Mimik. Am Steuer eines PS-starken Wagens regenerierte sich ein Mann stets am besten. Allerdings wäre er vermutlich lieber alleine gefahren. Zumindest schweigend.
»Ich bin im Klein Venedig mit Dr. Zittel senior verabredet«, erklärte ich, als wir die Hauptstraße entlang in die untergehende Sonne rollten. »Er hat ein hochinteressantes Buch geschrieben.«
Richard schickte einen ungläubigen Blick zu mir herüber. »Zumindest hat er sich große Mühe gegeben. Aber du willst dich doch nicht wirklich mit ihm über das Gleichgewicht der Welt unterhalten. Oder über Philipp Matthäus Hahns Idee einer Maschine, die einen Wagen allein durch Wasser und Feuer über Berge und Täler bewegen kann.«
»Worüber denn sonst?«
Die Flöhe, die es dank des Flohgifthalsbands nicht mehr in Cipións Fell aushielten, sprangen in meine Hosen und bissen mich in die Fesseln. Ich kratzte und ächzte: »Wenn du mir nicht glaubst, dann komm doch mit.«
Dr. Reinhold Zittel war ein agiler Mann im vollen Saft des Unruhestands. Seine Backen neigten wie die seines Sohnes zu fettigem Glanz, seine Halbglatze schillerte, seine Äuglein glitzerten unter buschigen weißen Brauen.
»Herr Weber! Es freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte er, nachdem ich ihm Richard vorgestellt hatte. »Die Ähnlichkeit ist unverkennbar! Übrigens mein aufrichtiges Beileid. Wirklich tief empfunden, kann ich sagen. Ihr Vater war mir stets ein guter Freund und gestrenger Ratgeber. Es war einer der traurigsten Momente meines Lebens, als ich ihm gestern die Augen zudrücken musste. Richten Sie doch bitte Ihrer Frau Mutter noch einmal mein Mitgefühl aus.«
»Danke«, erwiderte Richard.
Wir nahmen auf der Terrasse Platz. Wendig paddelte Zittel auf seinem Redestrom um unsere Geräusche herum wie ein Champion auf der Wildwasserbahn um die hängenden Tore – ohne sie zu berühren!
»Ja, das Buch«, sagte er. »Auf einmal interessiert sich alle Welt für die Waagenindustrie von Balingen! Das Fernsehen hat sich auch schon angekündigt. Wer hätte das gedacht? Ich bin doch bloß ein kleiner Gerichtsmediziner, der die Geschichte als Hobby betreibt. Für welche Zeitung schreiben Sie? Frau …«
»Nerz.«
»Sie müssen schon entschuldigen, mein
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