Allmachtsdackel
seiner Ballen auf dem Feld stinkt und seicht. Gras mit menschlichem Eiweiß gemischt ergibt nun einmal keine stabile Silage. Wie der Junge aus Heselwangen ins Schneidwerk der Rundballenpresse geraten ist, ließ sich nicht mehr rekonstruieren. Wo steckt eigentlich Herr Weber? Ihm wird doch nicht schlecht geworden sein?« Zittel reckte den Kopf in Richtung Cafe.
»Er hat eine tiefe Abneigung gegen Leichenerscheinungen in Unterhaltungen«, erklärte ich.
Zittel lachte gemütlich. »Kann man ihm nicht verdenken, wo sein Vater gerade verstorben ist. Herzstillstand bei kardialer Vorschädigung, Lebersymptome. Er ist zu Hause gestorben. Ein gnädiger Tod! Glauben Sie mir, da steht auch ein alter Leichenfledderer wie ich betroffen und faltet die Hände zum Gebet. Normalerweise sehe ich die Leichen auf dem Seziertisch und fluche über die Ärzte, die die Leichenschau vorgenommen haben. Manche überprüfen nicht einmal die Totenstarre. Ich finde sie an keinem Gelenk gebrochen. Und wenn Sie die Farbe der Totenflecken begutachten, brauchen Sie Tageslicht. Sie sind doch nicht zimperlich, Frau Herz? Wissen Sie, die meisten unentdeckten Morde – die perfekten Morde gewissermaßen – geschehen im Bett. Wenn Sie Ihren Erbopa umbringen wollten, dann sollten Sie es an einem Sonntag tun, wenn der Hausarzt nicht erreichbar ist. Auf dem Nachttisch bauen Sie die Herzmedikamente auf. Den Arzt möchte ich sehen, der Ihnen dann ins Gesicht sagt, die Todesursache sei nicht feststellbar. Und ein natürlicher Tod ist allein durch die Leichenschau praktisch nicht festzustellen. Aber ich habe auch schon Leichen auf dem Tisch liegen gehabt, wo natürlicher Tod angekreuzt war und die Stichverletzungen auf dem Rücken deutlich zu sehen waren. Was man doch alles übersehen kann an einem Sonntagabend in einem dunklen Zimmer, wenn der Enkel, der gerade einen Mord begangen hat, stark wie ein Stier hinter einem steht und mit finsterer Miene zuschaut! Wer zieht den alten Opa dann schon nackend aus und schaut ihm in den Anus? Wissen Sie, so mancher Arzt hat einfach Angst. Wer will ihm das verdenken. Langsam mache ich mir Sorgen um Herrn Weber. Er kommt gar nicht wieder.«
Ich fand Richard an der Bar. Er drehte ein Glas Wodka in den Fingern, noch voll.
»Ist er durch?«, fragte er.
»Mit den geschredderten Leichen, ja. Jetzt sind die perfekten Morde dran, die Alten, denen …«
Das Glas in seinen Fingern kam zum Stillstand. »Es ist gut, ja!« Er hob das Glas einen Millimeter vom Tresen. Mit geweiteten Nüstern. Die Flüssigkeit schwappte. Ich konnte nur wie gebannt zuschauen und abwarten. Wahrscheinlich war es sogar besser, wenn ich nichts sagte. Richard traf seine Entscheidungen gern allein. In der Tat, er stellte das gefährliche Glas wieder hin und schnaubte ein trostloses Lachen. »Mein Gott! Was habe ich früher gesoffen, um diese Bibelspruchleere auszufüllen.«
»Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte die Dame zwischen Tresen, Waschbecken und Flaschen.
»Nichts!«, bellte ich. »Richard, komm, gehen wir!«, flötete ich hinterher.
Aber er ließ sich nicht lösen von Barhocker, Tresen und Wodka-Glas. »Weißt du, ich habe meinen Vater für einen armen Trottel gehalten. Er denkt … er dachte wie eine Ratte im Labyrinth. Immer derselbe Weg und immer derselbe Ausgang: das Gebet um Gottes Gnade. Voller Angst vor dem Leben, dem er mit Starrsinn und biblischen Regeln begegnete. Nur nichts genießen, sich nie freuen, stets in Demut das Haupt gebeugt und das Leben Gott befohlen und verkniffen auf die Nachbarn gespickt, die sich nicht dran halten. Mein Vater war für sich selbst die größte Strafe, dachte ich manchmal. Ich konnte aus seinem Gefängnis ausbrechen, er nicht. Manchmal hat er mir sogar leidgetan. Aber weißt du was: Er war nie ein armer Tropf, er war kein harmloser Trottel. Er war … er war … er war böse.«
Der Kaffee in Richards Augen war schwarz geworden im Spiegelreflexlicht der Bar und funkelte.
»Weißt du, was ein wirklich böser Mensch ist, Lisa? Ich rede nicht von Massenmördern oder diesen vermeintlich genialen Verbrechern ä la Dr. Mabuse, in denen wir so intellektuell verträumt dem Rätsel des Bösen zu begegnen meinen. Nein! Das Böse hat keinen Plan. Es hat nichts, was man definieren könnte als ein Ist. Es ist ein Mangel. Es ist die Abwesenheit des Du im Gefühlsleben. Es klammert sich stattdessen an eine Idee. Weißt du, wer auf der Welt stets das größte Unheil angerichtet hat? Derjenige, der es gut meinte
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