Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Tier, das Geräusch eines fremden Atems. Beinahe wäre ich direkt in die Kuh hineingelaufen. Vermutlich hatte ich Glück, dass es ein Stier war, der nicht angriff, ohne sich vorher aufzumanteln. Mein Rückzug führte in einen Albtraum. Hinter mir waren auch Rinder. Sie guckten und raschelten. Meine Hinkeflucht seitwärts endete erneut vor der Ahnung von Hörnern und schnaubenden Flözmäulern. Wohin auch immer ich mich wandte, sie waren schon da. Manchmal durfte ich zwanzig oder dreißig Schritte machen, ehe ich wieder auf zwei bis drei Rinder stieß.
    Hoffentlich geriet ich nicht in den Kindergarten der Kälber.
    Das unheimliche Schweigen der Tiere machte kleinlaut. Ich konnte sie nicht fragen, was sie wollten. »Gott, hilf mir! Zeig du mir den Weg! Bitte! Wenigstens einmal!« Aber der redete auch nicht, schon gar nicht mit mir. Hatte er noch nie getan. »Göttin, dann hilf du mir halt!« Frauen schwatzten doch immer. »Na los!«
    Zumindest neutralisierte Angst die Schmerzen.
    Ich verscheuchte alle Gedanken und hoffte, dass sich in mir Sinne anschalteten, die ich nicht kannte. Wenn sie dich töten wollen, kannst du sowieso nichts ändern! Und was wäre daran auch so schlimm! Dich selbst kannst du ja nicht vermissen.
    Der Boden knackte, die Sterne funkelten. Die Zeit hörte auf, eine Rolle zu spielen im geheimnisvollen Labyrinth der Rinder. Ein riesenhaftes Flugobjekt stieg lautlos vom Boden auf. Konnten Eulen Dackel schlagen?
    Irgendwann stellte ich fest, dass ich schon eine Weile nicht mehr auf ein Rind getroffen war. Dafür raschelte und schnaubte es hinter mir. Einer folgte mir, womöglich ein junger Stier. Ich schlug eine andere Richtung ein. Das Tier blieb stehen. Gut. Ich suchte den Himmel erneut nach den drei relativ hellen Sternen im Westen ab und marschierte wieder los. Und wieder folgte mir der junge Stier. Ich schwenkte nach Süden, und wieder blieb das Geschnaufe zurück. Doch kaum hatte ich mich erneut gen Westen gedreht, kam es hinterher. Und alsbald war es ein vielfältiges Geschnaufe und Geraschel. Ein Dutzend massiger Gestalten folgte mir, schweigend und mit knackenden Gelenken und pfeifenden Schwänzen. Wenn ich stehen blieb, blieben sie stehen, wenn ich weiterging, kamen sie mir hinterher. Wenn ich meine Richtung änderte, warteten sie, bis ich wieder auf Westkurs war.
    Und plötzlich hörte ich die Batterie für den Zaun ticken und stand am Weidentor.
    Es war eines jener Wunder, die wir nie vergessen. Die Tiere hatten sich herabgelassen, mich zu leiten. Warum? Vermutlich hofften die Stiere nur, ich würde sie hinauslassen. Leider kannte ich die Zahlenkombination des Hängeschlosses am Riegel nicht, sonst hätte ich es getan.
    Ich konnte das Tor übersteigen. Der Stoff der Hose riss dabei aus meiner Wunde, und ich fiel jaulend auf der anderen Seite auf den Feldweg. »Cipión!« Die Watte der Finsternis nahm meinen Schrei auf. Ich lauschte mir die Gehörknöchelchen aus den Ohren.
    Aufs Gewehr gestützt, humpelte ich zum Schalksbach hinunter. Mäuse und Ratten raschelten im Unterholz am Ufer. Ein böser Tiefdruckwind fuhr in die Pappeln und ließ die Äste gegeneinanderknallen. Gänsehaut flutete meine Haut. Ein Frostanfall schüttelte meine Glieder. Ich rang das dringende Bedürfnis nieder, heulend Richard anzurufen. Früher war ich irgendwie härter im Nehmen gewesen, glaube ich.
    »Cipión!«
    So oder so ähnlich musste er vor gut einem Jahr seinen ursprünglichen Besitzern entschwunden sein. Er war durch ein Gitter im Waldboden in eine Schachthöhle gefallen und dreißig Meter in die Tiefe gerutscht. Vermut lich tagelang hatte er da unten gesessen, Wasser vom Tropfstein geleckt, gejault, gefiept und gewartet. Und jetzt? Vielleicht lag er irgendwo, blutend und zerbissen, und rechnete mit mir. Nur dass er keinen Ton sagte, vielleicht auch deshalb nicht, weil ein Tier nicht auf die Idee kam, dass es nötig war, auf mein »Wo bist du!« mit »Hier!« zu antworten. Unsere Geschwätzigkeit würde ihnen immer fremd bleiben. Sie hatten ihre Nasen, um einander aufzuspüren. Ich als Mensch konnte Cipión nicht helfen, ich musste ihn vorerst im Stich lassen. Typisch! Auf mich war kein Verlass. Mich brauchte keiner für sein Glück. Mein Mann war mir fortgestorben, ein Dutzend Liebhaberinnen und Liebhaber hatten das Interesse verloren, Richard hatte mich verstoßen, ich war höllenmüde und Schmerzen raspelten sich durch mein Bein. Und jetzt Cipión! Ich heulte wie ein Schlosshund.
    Irgendwann hoppelten

Weitere Kostenlose Bücher