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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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weg, fiel auf die Knie und hielt Vicky den Kopf. Ein epileptischer Anfall, dachte ich blöde, so also sieht das aus. Oder doch nicht? Jacky sagte: »Ich rufe den Notarzt«, und stürzte hinaus, hinüber ins Büro.
    Das Kipf warf sich in Henrys Arm nach hinten und begann wie am Spieß zu schreien.
    »Raus!«, schrie Barbara. »Schaff sie raus!«
    »Es ist ein Baby, das schreit halt!«, kreischte Henry und warf sich erneut in Positur für den finalen Stoß im Kampf um ihr Recht, in diesem Haus respektiert zu werden. Aber Maxi schubste sie aus der Bank, weil sie selbst aufstehen wollte.
    Vickys Zuckungen verebbten, seine Arme und Beine wurden lang und schwer in Barbaras Armen. Mit beängstigender Geschwindigkeit wich das Blut aus seinem Gesicht, das eine quittengelbe Färbung angenommen hatte.
    »Er ist tot«, sagte Maxi mit ihrer klaren Stimme.
    Aber er lebte noch, als die Sanitäter ihn zehn Minuten später intubierten, an den Tropf hängten und auf die Trage hoben. Barbara fuhr im Krankenwagen mit und Jürgen mit seinem Volvo hinterher. Zurück blieben Henry mit ihrem inzwischen schlafenden Kipf auf dem Arm und Maxi, Jacky und ich mit hohlen Augen und leeren Hirnen. Was in drei Teufels Namen war da eben passiert?
    »Er hat aus dem Flachmann von Martinus getrunken«, sagte Maxi. »Und dann ist er umgekippt.« Sie langte nach dem Fläschchen.
    »Nicht anfassen!«, sagte ich.
    »Vielleicht ist Gift drin.«
    »Welches Gift wirkt denn so schnell? Innerhalb von kaum drei Sekunden?«
    »Zyankali«, schlug sie vor.
    »Hört auf!«, rief Henry. »Hört auf.«
    Ich beugte mich über das Fläschchen, das offen an Vickys Platz lag, so wie er es hatte fallen lassen. Ein Tropfen gelblicher Flüssigkeit war auf den Tisch gefallen. »Kein Bittermandelgeruch.«
    »Die Hälfte der Menschen kann Blausäure nicht riechen«, bemerkte Maxi.
    Ich gehörte zur anderen Hälfte. Massiver Alkoholgeruch biss mir in die Nase, begleitet von einem intensiven Kräuteraromengemisch: Anis, Fenchel, Wermut. Die Notration für Alkoholiker mit der offiziellen Diagnose Magenbeschwerden. »Habt ihr Plastiktüten, Gefrierbeutel oder so was?«
    Jacky drehte sich zum Schrank um und riss von der Rolle Gefrierbeutel eine Tüte ab. Ihre Hände zitterten, ihre verwaschenen Lippen waren zu einem Strich geworden.
    Ich versenkte, ohne ihn mit nackten Fingerkuppen anzufassen, den Flachmann samt Deckel in die Tüte, knotete sie zu und verstaute sie in der Innentasche meines Jacketts.
    »Aber an dem Schluck eben lag es nicht«, sagte ich. »Vicky hat heute Nachmittag schon daraus getrunken. Bei Lotte.«
    Und dann war er in leichten Schlangenlinien mit dem Motorrad zum Fürsten hinaufgefahren, wie ich mich erinnerte.
    »Vielleicht eine allergische Reaktion auf seinen Bremsenstich«, versuchte Jacky sich und uns zu beruhigen. »Das hatte er schon mal.«
     

27
     
    Türen knallten. Der chemische Wachsgeruch des Sekretärs, eine Armlänge von mir entfernt, holte mich zurück. Cipións Platz auf der silbergrauen Anzugjacke war leer. Ich sackte drei Grad tiefer in die Depression. In der Unbewusstheit träumerischer Ordnungswut war er zu mir zurückgekehrt.
    Auch Barbara war nicht gekommen. Keine zärtlichen Hände hatten mich geweckt und ins geistige Nirwana lüsternen Treibens entführt. Kein Abenteuer oder neues Leben.
    Irgendwann nach Mitternacht hatte ich den Computer in Barbaras Büro heruntergefahren und war mit steifem Bein die Treppe hinaufgehumpelt. Irgendeine Intuition aus den Bereichen des limbischen Systems mit seinen unbewussten Geruchsrezeptoren hatte mich verführt, das Risiko gering einzuschätzen und eine Klinke hinunterzudrücken. Hustend vor Herzklopfen hatte ich Barbaras leeres Zimmer betreten und dabei gefürchtet und gehofft, ertappt zu werden und auf die Frage antworten zu dürfen: »Was suchst du hier?«
    »Dich!«
    Ein grüner Teppich hatte mir unter den Sohlen gebrannt. Zum Bett hatte ich kaum hinüberzublicken gewagt. Es war singleschmal. Eine grünweiß gestreifte Tagesdecke wellte sich über den Federn. Grün auch die Vorhänge am Fenster. Dort stand ein abgewetzter Ledersessel mit einem Tischchen daneben, auf dem eine Lesebrille und Das Handbuch der Klosterheilkunde lagen. Im Bücherregal reihten sich zwei Dutzend Bücher über Pflanzenkunde, Kräuter, Kräuterheilkunde, Naturheilkunde und Naturmedizin. Früher, als ich bei der Amazone den feministischen Journalismus erlernte und im Frauencafe Sarah in der Johannesstraße meinen vernarbten

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