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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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wieder«, sagte Henry milchbrüstig. »Spätestens, wenn er Hunger hat. In Hamburg hatten wir einen Kater. Mein Ex hat ihn mitgenommen, als er nach Mailand abhaute, er hat überhaupt alles mitgenommen, in einer richtigen Nacht-und-Nebel-Aktion, zum Glück war damals das Kipf noch nicht da, sonst hätte er es vermutlich auch mitgenommen …«
    Jacky und Maxi verdrehten die Augen.
    »… und stell dir vor, Lisa, du wirst es nicht glauben, und ich würde es auch nicht glauben, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, eines Morgens, drei Monate später, höre ich es auf der Terrasse maunzen und miauen, ich denke, das klingt wie unser Tucker, und siehe da, er war’s. Von Mailand bis nach Hamburg ist er gelaufen.«
    »Wahrscheinlich hat ihn dein Ex auf dem nächsten Rastplatz hinter Hamburg aus dem Auto geworfen«, bemerkte Barbara trocken.
    »Musst du einem jede Illusion nehmen, Baba? Alles redest du klein, alles machst du madig.«
    »Kinder!«, mahnte Jürgen. Mit fettigem Brotkrümel im Mundwinkel zündete er sich eine Zigarette an.
    »Muss das sein?«, trillerte Henry in den höchsten Tönen.
    »In meinem Haus rauche ich, wann ich es will!«, entgegnete Jürgen seiner Tochter. »Ob es dir passt oder nicht, Henriette.«
    Henry drückte das Kipf gegen ihre milchvolle Brust, holte Luft und schrie, sie sei ein vollgültiges Mitglied der Familie und habe es satt, dass man sich über ihre Wünsche hinwegsetze. Sie hatte einen richtigen Lauf.
    Ich verankerte meinen Blick in den Spalten der Zeitung und blieb bei den Gottesdiensten hängen. »St. Gallus, Frommern, So. 11 Uhr. Männergottesdienst. Auch Frauen willkommen.«
    Das Kipf fing an zu brüllen, während Henry den Frust ihres Lebens über den Tisch kübelte. Als Putzfrau und Kindermädchen habe man sie missbraucht. »Und dann kommt dieses Mensch aus Stuttgart, und alles dreht sich nur noch um die! Na, Maxi, hat sie dich schon angebaggert?«
    Alles erstarrte. Ich kam mir vor wie in einem Wachsfigurenkabinett. Jacky mit dem Tabakbeutel in den Fingern, Maxi mit dem Bettelarmband, an dem eine Hasenpfote hing und die Glöckchen schwiegen, Barbara mit den Taschenlampen, Jürgen mit dem Krümel im Mundwinkel. Nur der Qualm seiner Zigarette drehte verspielt seine Pirouetten zur Lampe empor.
    Vielleicht lag es auch nur an einem unerklärlichen neurologischen Absturz im Hirn, in dem zu viele Programme liefen, dass mir alles kalt und wächsern wurde. Vor allem Vicky sah monströs aus, weiß wie Stearin, das man mit Wasser übergossen hatte, sein Bart schien regelrecht zu tropfen, die Augäpfel waren gelb, die Lippen blau. Die Schlangen auf Medusas Haupt auf dem silbernen Flachmann wimmelten wie Regenwürmer um seine Finger.
    »Mit wem«, fragte ich über die Länge des Tischs hinweg und unter Henrys Omegatiergeschrei hindurch, »mit wem warst du eigentlich auf Gran Canaria, Vicky?«
    Urplötzlich war es still. Sogar das Kipf schwieg verwundert.
    »Du warst auf Gran Canaria?«, fragte Barbara und drehte sich zu ihrem Sohn um. »Gott«, entfuhr es ihr, »wie siehst du denn aus, Victor? Ist dir nicht gut?« Mit der unnachahmlichen Geste einer Mutter drückte sie ihren Handrücken gegen Vickys Stirn. »Du hast Fieber!«
    Vicky wedelte ihre Hand weg und versuchte zu lachen. »Das kommt von dieser Pestbeule.« Er strich über den roten Hügel auf seinem Arm.
    Maxi schaute hinüber. »Eine Bremse?«
    »Die bringen mich noch um!«
    In meinem Hirn machte es Klick. Seit wann schwirrten in München Bremsen herum?
    Vicky setzte den Flachmann an die Lippen. Sein Adamsapfel sprang.
    »Was ist das denn?«, fragte Barbara alarmiert.
    »Von Martinus. Habe ich geerbt. Ein Kräuterschnaps. Vielleicht hilft’s.«
    Er wollte den Deckel wieder auf das Silberfläschchen schrauben, doch es misslang ihm. Es verriss ihn förmlich, er hustete, keuchte und würgte. Ein Schweißfilm überzog seine grünliche Haut. Er taumelte stöhnend hoch und fiel in Krämpfen auf den Küchenboden.
    »Was hat er denn jetzt schon wieder?«, fragte Henry. »Immer muss er die Aufmerksamkeit auf sich lenken, wenn wir gerade mal über etwas anderes reden als über seine Rinder oder ihn!«
    Jürgen saß erstarrt, die Beine übereinandergeschlagen, die Bierflasche aufs Knie gestemmt, die halb abgerauchte Zigarette zwischen den Fingern, den Krümel im Mundwinkel, und starrte auf seinen sich in Krämpfen auf dem Boden windenden Sohn hinunter. Nur Barbara und Jacky kannten wieder keine Schrecksekunde. Barbara legte die Taschenlampen

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