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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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der Hinterlaufe aufgeschnitten. Jetzt ritzte sie die Leisten und trennte den Hautlappen des Unterbauchs von der Kloake ab.
    »Hallo«, sagte sie kurz und knapp mit ihrer tiefen, immer etwas fragenden und ironischen Stimme, die mir mehr denn je Gänsehaut verursachte. »Was macht dein Bein?«
    Sie ritzte den Bauch bis zum Brustbein auf. Fell und Haut teilten sich, die Bauchlappen platzten auseinander, der Darm quoll heraus. Barbara tauche Hand und Messer ins Gedärm und durchtrennte im Brustkorb den Dünndarmansatz vom Magen. Das Gekröse klatschte auf eine Zeitung, die auf dem Duschboden lag. Ein süßlicher Geruch breitete sich in dem Badezimmer aus. Barbara nahm die Zeitung mit dem Gedärm, trug sie an mir vorbei in den Gang und legte sie Samanta vor die Schnauze, die sofort anfing zu schlabbern.
    In die Dusche zurückgekehrt, tauchte sie Hand und Messer noch einmal in den Brustkorb und operierte die Galle von der Leber. Dann packte sie mit zwei kräftigen Händen die Felllappen an den Hinterbacken, holte Luft und zog mit einem gewalttätigen Ratsch dem Hasen das Fell über die Ohren. Die links herum gedrehte Leibeshülle hing ihm überm Kopf wie ein nicht ganz ausgezogener Pullover. Auf den Schultern waren die Blutergüsse vom mörderischen Biss Samantas gut zu erkennen.
    Barbara rieb sich kurz das vor nicht allzu langer Zeit gebrochene rechte Handgelenk. Dann begann sie, das Fell von den Schultern und Vörderläufen zu schälen. Knack, knack, und die beiden Vorderpfoten waren abgebrochen, abgetrennt und dem Hund ins aufgerissene Maul geworfen. Und wieder packten ihre kräftigen Hände zu. Mit einem Ruck drehte sie dem toten Hasen den Hals um. Das Rückenmark und die roten Stränge rutschten aus den Wirbeln. Das Fell samt Kopf fiel auf den Duschboden. Zum Schluss brach Barbara die Sprunggelenke der Hinterläufe in den Schlingen am Kleiderbügel und legte den nackten Hasen ins Waschbecken. Die Hasenpfoten – Glücksbringer – landeten in Samantas Rachen. Barbara klaubte das Fell mit dranhängendem Kopf aus der Dusche und warf es Samanta hin. Dann nahm sie den nackten Hasen, quetschte sich zwischen mir und dem Türrahmen hindurch, wobei sie streng darauf achtete, mich nicht zu berühren, und begab sich zur Küche.
    »Wie geht es Vicky?«, hinkte ich hinterher.
    »Sie haben ihm Diazepam gegen die Krämpfe und Atropin gegen die Koliken gegeben. Zweimal mussten sie ihn reanimieren. Wenn es wirklich Thujon ist, dann werden schwere Leberschäden zurückbleiben und Nervenschäden, Gehirnschäden, falls er überhaupt zurückkommt.«
    In der Küche war Jürgen dabei, Geldbeutel, Zigaretten und Brieftasche in seiner Kordjacke unterzubringen. »Ich gehe jetzt zur Polizei. Damit werden die nicht durchkommen, damit nicht!«
    Wer diel, fragte ich mich, traute mich aber nicht zu fragen in die bitteren Gesichter der Eltern hinein, deren Sohn entweder starb oder als blödsinnig erwachte. Das war eine Nummer zu groß für mich. Es war eine andere, eine uralte Geschichte, in der ich nichts verloren hatte, das Leichtgewicht aus der Stadt. Besser wär’s wirklich gewesen, ich wäre gestern Abend in den Zug nach Stuttgart gestiegen und hätte mich zusammen mit Sally ins allgemeine Komatrinken einer Samstagnacht entlang der Theodor-Heuss-Straße gestürzt.
    »Wo ist der Flachmann?«, fragte Jürgen.
    Ich holte die Plastiktüte mit dem schweren Silberfläschchen aus der Innentasche meines Jacketts und legte sie in Jürgens ausgestreckte Pranke. Er steckte sie in sein Kordsakko und verließ mit jugendlich schlaksigem Schritt und altem Gesicht die Küche.
    Barbara nahm aus einem Schrank eine gläserne Salatschüssel, krümmte den Hasen hinein und leerte einen ganzen Liter Milch über ihm aus. Die Schüssel stellte sie aufs Dach der Hängeschränke. Dann wusch sie sich die Hände, trocknete sie ab und wandte sich, weil keine Übersprungs- oder Verlegenheitshandlung mehr möglich war, endlich mir zu.
    »Ich habe auf dich gewartet«, sagte ich und fragte mich, ob es mir erlaubt war, sie in den Arm zu nehmen.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Ich habe an dich gedacht. Ich habe überhaupt viel nachgedacht.«
    »Nachdenken hilft selten«, behauptete ich.
    »Sprüche auch nicht, Lisa. Schau dich um! Das ist mein Leben. Der Hexenhof im Zeitental, meine alte Mutter, Jacky, die sich immer zurückgesetzt fühlt, meine halb verrückte Henry und ihr Kipf, unser Traumschaf Maxi mit ihrem Zoo, die Rinder.«
    Und die Küche mit Kuhhalfter, totem Hasen und

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