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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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tippte »Nebukadnezar« in die Passwortzeile.
    Der Bildschirm nahm Farbe an, Ikons bauten sich auf. Richard klickte zuerst das E-Mail-Programm an. Es offenbarte einen umfangreichen Briefwechsel mit Zeitungen, Pfarrern, Gemeindemitgliedern und dem Redakteur des Gemeindeblatts. Von Freitagvormittag bis jetzt, Sonntagabend, hatten sich außerdem gut dreißig Spams angehäuft. »All populär drugs available«, »we can improve your bedroom life and spice up your marriage«.
    In den Favoriten des Internetexplorers fiel mir dann die Adresse eines Anbieters von Postkarten mit Texten nach eigenem Wunsch auf. »Dein Vater hat Postkarten mit Bibelzitaten hergestellt und in Briefkästen geworfen, wusstest du das?«
    »Das hat er schon gemacht, als ich noch ein kleines Kind war, damals noch mit Schreibmaschine. Mahnkärtchen. Wir haben Sonntagsspaziergänge gemacht und sie sündigen Gemeindemitgliedern in die Briefkästen gesteckt. Wenn ich brav gewesen war, durfte ich die Karten einwerfen.«
    »Dein Vater hatte doch wirklich einen Schuss!«
    Richard zuckte mit den Achseln. »Er wollte halt die Welt sündenfrei kriegen.«
    »Und Punkte sammeln.«
    »Nein, Lisa, ihr Katholiken könnt Punkte sammeln, indem ihr Ablasskärtchen kauft. Uns Protestanten nützen alle guten Taten nichts. Gut werden wir nur durch Gottes Gnade. Und die erfährst du, wenn du ernsthaft und angstvoll, wenn du wahrhaft entsetzt über dich selbst um Vergebung deiner Sünden bittest. Im Grunde hängt alles von deinem Gottvertrauen ab. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.«
    »Dann hat dein Vater von seinem Gott wohl seine Gnade bekommen.«
    »Von seinem sicher. Was hoffst du übrigens auf diesem Computer zu finden?« Richard klickte sich kursorisch durch die Word-Dateien. Erbauungstexte, Exegesen, Bibelmeditationen fürs Gemeindeblatt. Briefe an Ämter, Gerichte und Staatsanwaltschaften. »Das dauert Tage, bis man das halbwegs gesichtet hat.«
    Immer auf der Suche nach der bequemeren Lösung, schickte ich meinen Blick zu den Schlüsseln in der Messingschale des Schreib- und Tintensets neben dem Bildschirm. »Unten im Tal steht ein Gartenhäuschen, das würde ich mir gern mal ansehen. Es hat ein neues Vorhängeschloss am geölten Riegel. Es gehört der Witwe Mauthe, und die zahlt, wie ich vorhin im Ordner gesehen habe, an deinen Vater Miete.«
    Richard nickte. »Soviel ich weiß, hat sie nur das Haus, nicht aber das Hanggrundstück mit dem Gartenhäuschen gemietet.«
    »Was meinst du, ist die Schlüsselsammlung hier komplett?«
    »Es sind alle, die ich in den Schubladen im Arbeitszimmer gefunden habe. Hosen und Jacken habe ich allerdings noch nicht durchsucht.«
    »Ja, wenn ein Mensch stirbt, lebt er noch lange in seinen Kleidern fort. Ein Schlüssel, ein Streichholzbrief mit der Telefonnummer eines Bordells …«
    Richard quälte sich ein Lächeln ab. »Lisa. Mach dir keine falschen Hoffnungen.«
    »Na gut.« Ich stand auf. »Dann los!«
    »Was?«
    »Zum Gartenhaus. Mit allen Schlüsseln, die wir finden können. Und zwar, bevor das Gewitter losgeht.«
     

34
     
    Cipión wehte es beim ersten Tritt vors Haus in eine Konifere. Sein haselnussbrauner Blick war so vorwurfsvoll, dass man das Weiße sah. In den Falten der Alb stauten sich von Westen her grüne Wolken. Sie schienen nicht recht vorwärtszukommen, schickten aber schon mal den Wind, der in Stößen Plastikflaschen und Tüten über den Fußweg fegte. Ich rettete Cipión aus dem Busch und nahm ihn auf den Arm.
    »Moment«, sagte Richard und kehrte um. Er kam wieder mit einem hellblauen Popelinemantel seiner Mutter, den er mir reichte. »Nimm schon, es kann jeden Augenblick losgehen!«
    »Ach was, eine Stunde haben wir noch.«
    Er selbst schlüpfte in eine braune Lederjacke, die ich schon an der Garderobe hatte hängen sehen. Eine Jacke vom abgetragenen schulterbetonten Schick der frühen Neunziger, die Richard etwas zu groß war, obgleich er nicht gerade zu den Schmalbrüstigen gehörte. Richards Seelenlage musste ziemlich aus dem Gleichgewicht geraten sein, wenn er sich mit den Häuten seines Vaters ausstattete. Im Reflex, mit dem wir uns versichern, dass wir alles dabeihaben, klopfte er auf die Taschen der Jacke, die ihm nicht gehörte, runzelte die Stirn und fasste nach.
    »Ist was?«
    Er winkte ab.
    Sogar der schwere Mercedes wackelte unter den Windstößen, die ebenso plötzlich ihre Attacken einstellten, wie sie sie begannen. Hinter dem alten Fabrikgebäude bog Richard scharf links in den

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