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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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dem Sessel voller Katzenhaare. Kippte den Whiskey in einem Zug herunter und hielt dem Alten das leere Glas hin. Bat ihn, die Tür zu öffnen. Platzangst.
    Nachsichtig goss der Alte nach und öffnete die kleine Wohnwagentür. Auch das zweite Glas kippte Tim auf ex. Allmählich kehrten seine Lebensgeister zurück.
    Einige Minuten saß er nur da. Sammelte sich. Sah auf seine aufgeschürften Knie, betrachtete die Schnitte in den Unterschenkeln, die braunen Bluttropfen auf den Shorts. Sein T -Shirt war komplett zerrissen.
    Verdammt! Er hatte sich von fünf Milchbubis verprügeln lassen. Unfassbar.
    Stumm schüttelte er den Kopf.
    Der Alte streichelte seine fette Katze. »Jetzt, wo Sie so übel zugerichtet sind, erkenne ich Sie auch wieder.« Langsam nahm er einen Schluck Bourbon. »Vor vier Jahren oder so waren Sie schon mal hier.« Seine trüben Augen wanderten über Tims lädiertes Gesicht. »Mit einem anderen Typen. Dachte erst, Sie wären schwul …« Er lachte heiser. »Der andere war auch ziemlich mitgenommen, aber für Sie hat meine Frau ’nen Krankenwagen gerufen …« Tiefes Seufzen, von ganz tief innen.
    Stille.
    Dann sagte er: »Da hat sie noch gelebt.« Traurig fummelte er am obersten Knopf seines karierten Hemdes herum.
    Tim ließ Heringe, Zeltplane und Gummihammer einfach im Staub liegen. Fuck it.
    Brauchte einen Moment, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken. Seine Hand wollte nicht aufhören zu zittern.
    Irgendwie hatte er den Alten nach vier Whiskeys davon überzeugt, dass er noch fahren konnte.
    Er riskierte einen vorsichtigen Blick in den Rückspiegel. Sein Gesicht war verschwollen. Blutig. Dreckig. Quer über die Stirn ein tiefroter Schnitt. Die Beule am Auge war violett angelaufen. Ebenso Unterlippe und Kinn. Ein Film aus Schweiß, Staub und Blut lag auf Gesicht und Hals.
    Er brauchte dringend eine Dusche. Die Schmerzen in Rücken und Schulter würde er mit ein paar weiteren Drinks beseitigen.
    Kurz winkte er dem Platzwart zu. Nahm den Highway 1 weiter nach Norden.
    Vor vier Jahren war er mit Peter zelten gewesen. Der Abend hatte in einer Schlägerei geendet. Das wusste er jetzt. Vier Jahre waren eine lange Zeit. Er musste mit ihm sprechen. Musste den Grund für die Schlägerei erfahren. Warum konnte er sich nicht erinnern? Nur wenig kam zurück. Ein Krankenhaus in Santa Barbara. Liz war irgendwann gekommen. Blass und besorgt. Er sei gestürzt, hatte sie gesagt. Gestürzt. Hatte er das behauptet? Wo war Peter gewesen? Hatte Peter ihr verschwiegen, was vorgefallen war?
    Das machte alles keinen Sinn.
    Hungrig nahm er kurz vor Santa Barbara eine Abfahrt. Irgendein Kaff. Das Wochenende war noch nicht vorbei.
    Motor Inn. »Vacancy« blinkte in roten Lettern in der Einfahrt. Daneben eine kleine Bar, Motor Bar.
    Er zog sich auf dem Parkplatz ein frisches T -Shirt an.
    An der Rezeption drückte er eine abgewetzte goldene Klingel. Er hörte schlurfende Schritte hinter dem Vorhang. Eine alte Frau trat hinter die Theke. Sie blickte ihn erschrocken an. Hielt Abstand.
    Das Lächeln schmerzte. »Mountainclimbing … Mein Partner hat mich nicht vernünftig abgeseilt.«
    Sie entspannte sich ein bisschen. Wieder das Händezittern, als er das Gästeformular ausfüllte.
    Sie gab ihm ein Zimmer mit Meerblick.
    Brauner Teppich. Brauner Bettüberwurf. Eine Kaffeemaschine, Plastikbecher in Plastikfolie. Es roch nach alten Socken.
    Er warf die kleine Sporttasche in die Ecke. Zog die klebrigen Vorhänge auf. Glasschiebetür zur kleinen Veranda, dahinter Strand. Ein schmales Stück Sand. Unruhiges Meer.
    Er trat hinaus. Es war fast dunkel. Den Zettel mit Heffners Nummer, Zigaretten und Handy nahm er mit. Atmete tief durch und zündete die Zigarette an. Dann wählte er.
    Es klingelte lange. Mit großen Schritten ging er auf und ab. Spürte den Sand unter den nackten Sohlen, rauchte. Dann eine Frauenstimme.
    »Ja, bitte?«
    Beinah hätte er wieder aufgelegt. Dann sagte er: »Doreen? Hier ist Tim. Tim Wilkins.« Vorsichtig.
    Stille.
    »Hallo?« Er hielt sich das andere Ohr zu, Wellenrauschen und ein leichter Wind machten es ihm schwer zu hören.
    »Hier ist Jessy. Meine Mutter ist unterwegs.«
    »Ich bin ein Freund deines Vaters. Ist er da?«
    Er hörte sie atmen. Der Wind frischte auf, Wellen klatschten hörbar auf den Sand.
    »Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben.«
    Eine Möwe flog dicht über seinem Kopf vorbei. Die Zigarette fiel in den Sand. Er rang nach Luft. Was hatte sie gesagt? Peter war tot?
    »Ich …«

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