Allmen und die Dahlien (German Edition)
sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Zehn Jahre war sie mit Hardy Frey untergetaucht, dann hatten sie sich getrennt. Fünfunddreißig Jahre später zog er hier ein. Aber sie hätten nicht wieder zueinandergefunden, hatte sie gesagt. Was dann? Weshalb hatte er hier gelebt, bis zu seinem Tod? Und weshalb war ihr das Bild so viel wert, wenn ihr doch der, der es für sie gestohlen hatte, nichts mehr bedeutete?
Toc. Toc. Toc. Toc.
Carlos hatte von Anfang an recht gehabt, es ging um die Beziehungen. Diejenige zwischen Dalia Gutbauer und Hardy Frey führte von der vierten Etage hinunter ins Hotel. Die zwischen Hardy Frey und seinem Großneffen, Claude Tenz, könnte wieder vom Hotel hinauf in den vierten Stock führen. Und die Verbindung zwischen Claude Tenz und Tino Rebler führte womöglich zu der anderen Dalia, der schönen Römerin Dalia Fioriti. Und die mysteriöse Teresa Cutress? In welcher Beziehung stand sie zu allen anderen? Schon drei Mal hatte er Dalia Fioritis Nummer gewählt. Immer kam der Anrufbeantworter, aber er hinterließ keine Nachricht.
Geräusche aus dem Korridor rissen ihn aus seinen Gedanken. Stimmen und dumpfes Poltern. Allmen sah hinaus. Gegenüber war die Tür von Hardy Freys Suite offen. Zwei Gepäckwagen standen davor. Bellboys in grünen Schürzen trugen eine mit Messingbeschlägen verzierte chinesische Kommode heraus.
Claude Tenz, dachte Allmen. Der Großneffe ist endlich aufgetaucht und holt die Sachen von Hardy Frey ab.
Er überquerte den Korridor und trat ein. Im Wohnzimmer waren das ecuadorianische Zimmermädchen und María damit beschäftigt, Nippes in Zeitungspapier zu packen und in Schachteln zu verstauen. Bei seinem Eintreten sahen beide auf. María nickte ihm höflich zu, aber Pita fragte: »Suchen Sie etwas?«
»Ich dachte, Herr Tenz wäre vielleicht hier«, antwortete er und ging weiter ins Schlafzimmer. Dort war noch alles intakt, aber kein Claude Tenz weit und breit. Als er ins Wohnzimmer zurückkam, waren beide Frauen dabei, die ersten Schachteln hinauszutragen. Allmen sah sich um.
Die ganze Tristesse eines halbausgeräumten Zimmers fiel ihn an. Herausgezogene Schubladen, geöffnete Schranktüren, aufgerollte Teppiche und überall Verpackungsmaterial, Kleberollen, Kartons und Wäschesäcke.
An der Kleiderstange eines Kofferwagens hingen ein gelblich verblichener Leinenanzug, ein khakifarbener Safarianzug und ein Smoking mit übergroßen Seidenrevers, von denen eines umgeknickt war wie der Flügel eines verletzten Vogels. Darunter stand ein Paar Lackschuhe mit brüchigem Oberleder.
Allmen rief sich Hardy Frey in Erinnerung. Es musste viele Jahre her sein, dass dieser krumme, magere Greis diese Garderobe ausgefüllt hat.
Über der Stelle an der Wand, wo die Spuren der soeben abtransportierten chinesischen Kommode zu sehen waren, hingen immer noch die gerahmten Fotos eines bewegten Lebens. Auf mehreren davon war Frey in seinen besten Jahren mit einer attraktiven Frau zu sehen, die Allmen entfernt an jemanden erinnerte. Eine Schauspielerin oder Sängerin vielleicht oder sonst eine Prominente aus den sechziger Jahren.
Er nahm eines der Bilder von der Wand – ein kleines Schwarzweißfoto in einem Holzrähmchen –, setzte seine Lesebrille auf und studierte es.
Es war wie die Begegnung mit einer Bekannten, von der man beim besten Willen nicht weiß, wo man sie hintun soll.
Allmen sah sich um. Die Frauen waren immer noch draußen. Er steckte das Bild in den Hosenbund und schloss das Jackett darüber. Als er zur Tür sah, stand dort María Moreno. Sie hatte seinen Diebstahl beobachtet und ihrer Kollegin den Weg versperrt, um ihm ein paar Sekunden mehr Zeit zu geben.
»Con permiso«, sagte die Ecuadorianerin. María ließ sie durch, ging an Allmen vorbei zur Wand und begann, Fotos abzuhängen, damit der anderen die Lücke nicht auffiel.
Allmen ging zurück in den Salon seiner Suite. Auf der Rückseite des Fotorahmens ließ sich ein Tischaufsteller herausklappen. Allmen stellte das Bild auf eine der Stilkommoden und betrachtete es. Hardy Frey in Tweedjacke, karierter Golfhose, Schal und Schiebermütze. Seine Begleiterin im Tweedkostüm und mit Rollkragen. Sie trug ein freches, schief sitzendes Hütchen und viel Lippenstift. Sie war zierlich und einen Kopf kleiner als ihr Begleiter, trotz ihrer hochhackigen Schuhe.
Was kam ihm bekannt vor an ihr? Am ehesten ihre Augen.
Sein Handy klingelte. Eine Frauenstimme fragte: »Chi è?« Wer ist da?
Es war die Stimme von Dalia
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