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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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den Fotos.«
    Der Restaurator tat, als würde er nichts von dem Gespräch mitbekommen.
    »Herr Erlbaum!«, rief die Blonde, »können Sie bitte mal hierherkommen?«
    »Okay, okay«, maulte der Künstler, noch bevor er die beiden erreicht hatte. »Aber ich habe es ja nicht der Versicherung gemeldet, es ist also kein Betrug.«
    Sie nahmen den Jahreszeitenzyklus aus dem Schrank, wo er nur von ein paar Kartons und Leinwandrollen verdeckt gewesen war, und lehnten die vier Bilder nebeneinander an die Wand.
    »Weshalb haben Sie behauptet, die Bilder seien auch gestohlen worden?«, fragte die Gefreite Wertlinger scharf.
    Severin Erlbaum überlegte. Dann antwortete er kleinlaut: »Wenn sie schon niemand kauft.«
    [180]  Kurz darauf traf Verstärkung ein und stellte bei »Restaurierungen, Vergoldungen, Konservierungen Severin Erlbaum« alles auf den Kopf.
    Der Restaurator saß schicksalsergeben inmitten des Tohuwabohus und sagte immer wieder: »Die Dahlien sind gestohlen, wenn ich es Ihnen sage. Sie werden sie nicht finden.«
    Zwei Stunden später gaben die Beamten die Suche auf.
    13
    Es roch nach Farbe. Das Ende des Seils, mit dem ihre Füße zusammengebunden waren, war irgendwo so befestigt, dass sie die Knie nur leicht anziehen konnte. Das hinderte sie daran, weit genug zurückzurutschen, um sich aufzusetzen. Am Anfang hatte sie alles ausprobiert, mit den Füßen ausgeschlagen und dabei ein paar Gegenstände getroffen, die scheppernd umfielen.
    Lange hatte sie versucht, den Kopf am Boden zu reiben und so die Augenbinde abzustreifen. Aber sie saß zu fest. Die Hände konnte sie nicht zu Hilfe nehmen, sie waren auf dem Rücken zusammengebunden.
    Sie befand sich in einem Lieferwagen mit [181]  Schiebetür. Zweimal hatte sie sie gehört, als man sie gefesselt und mit zugeklebtem Mund und verbundenen Augen auf die Ladefläche bugsiert und dort noch einmal angebunden hatte. Einmal beim Öffnen und einmal beim Schließen. Seither nicht mehr.
    Fast hätte sie es geschafft. Sie hatte Due besiegt. Seine Kräfte hatten nachgelassen, und er war ohnmächtig geworden. Hatte einfach dagelegen, dieser ungeschlachte Brocken, wie ein Walross, und hatte keinen Mucks gemacht.
    Doch anstatt loszurennen und ihn verenden zu lassen, hatte sie den gelbgrünen Draht um seinen Hals gelockert. Erst dann war sie losgelaufen – und direkt Julio in die Arme. Dieser hatte sie in den Kellerraum zurückgebracht und sich – etwas belustigt – um den noch immer nach Luft ringenden Due gekümmert. Und ihn daran gehindert, sich an ihr zu rächen, sobald er wieder bei Kräften war.
    Den wenigen Sätzen, die die beiden wechselten, hatte sie entnommen, dass irgendjemand befohlen hatte, dass sie von hier verschwinden müssten.
    Julio hatte sie gefesselt und geknebelt und ihr die Augen verbunden. Danach wurde sie zum Lieferwagen gebracht, der in der Tiefgarage stand. Due – sie erkannte ihn am Geruch – flüsterte ihr noch drohend ins Ohr: »Torneró. Solo.« Er werde allein zurückkommen.
    [182]  Die Fahrt kam ihr lange vor, und als sie hielten, hörte sie ein Geräusch, als öffne sich ein Tor. Das Auto fuhr ein sehr kurzes Stück weiter, dann hielt es erneut. Sie hörte die Fahrertür zuschlagen, Schritte, dann wieder das Tor, dann Stille.
    Seitdem waren Stunden vergangen, ohne dass sich etwas getan hatte. Sie war sich sicher, dass sie im Lieferwagen eines Malergeschäfts war und dieser in einer Garage, Halle oder Scheune stand.
    Sie begann wieder, ihren Kopf auf der Ladefläche zu reiben. Da, plötzlich, als sie ihn so weit zur Seite drehte, wie sie nur konnte, stieß sie auf einen Widerstand, vielleicht eine Niete oder ein Schraubenkopf. Die Augenbinde glitt immer wieder daran ab, doch sie gab nicht auf, bis das Tuch sich festhakte. Vorsichtig zog sie den Kopf in die Gegenrichung und spürte, wie die Augenbinde zu gleiten begann. So gelang es ihr, das rechte Auge so weit zu befreien, dass sie eine Ahnung von ihrer Umgebung bekam.
    Durch das Fenster der Fahrerkabine drang Helligkeit herein. Vielleicht brannte in dem Raum, in dem der Kastenwagen stand, ein Notlicht, oder vielleicht besaß er ein Fenster, und es war noch Tag draußen.
    Ihr Auge gewöhnte sich an das Licht, und langsam konnte sie die Gegenstände erkennen, die sie umgaben.
    [183]  Jetzt konnte sie auch den schweren Gegenstand rechts von ihr identifizieren, der die Bewegungsfreiheit ihrer Beine einschränkte: Es war ein großer Farbkübel. Er war schon einmal geöffnet und wieder

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