Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Heimat.
Auch in Giza, der Nachbarprovinz Kairos, gibt es einige Dörfer, die bekannt dafür sind, dass sie ihre Töchter in den Golf verheiraten. Das Dorf Hawamdiya lebt in dem Ruf, besonders kecke Töchter hervorzubringen. „Ihr Töchter von Hawamdiya, mit euren bunten Schals und euren kohlschwarz geschminkten Augen – die Hengste liegen euch zu Füßen, wenn ihr wiegend vor ihnen stolziert.“ Ägyptische Verse wie dieser finden auch auf der arabischen Halbinsel aufgeschlossene Zuhörer.
Für manche verarmte Bauern rund um Mansura oder Hawamdiya ist die Heiratsvermittlung das Geschäft ihres Lebens. Zehntausende von Dollars können als Brautgeld den Besitzer wechseln. Die Heiratsmaklerin selbst bekommt zehn Prozent als kleine Aufmerksamkeit für ihre Mühen.
Neue Häuser aus Zement, ein neuer Kühlschrank, ein Videogerät, vielleicht ein Job für den neuen Schwiegersohn – unbegrenzt sind die Möglichkeiten, die sich da auftun. Einige der Dörfer haben sich zu Zwei-Klassen-Gesellschaften entwickelt: diejenigen, die es zu neuem Besitz gebracht haben, indem sie ihre Töchter an den Golf verheiratet haben, und die Habenichtse, die es nicht geschafft haben oder die sich weigern, an dem Spiel teilzunehmen.
Nachtrag: Der innerarabische Tourismus hat seit den Anschlägen des 11. September enorm zugenommen. Statt der bisherigen Sommerfrische in den Schweizer Bergen, in London oder New York sind bei den Golfarabern jetzt arabische Reiseziele wie Kairo, Beirut oder Damaskus besonders in. Die Golftouristen wollen den Belästigungen in Europa und den USA ausweichen, als potenzielle Terroristen betrachtet zu werden. Seit dem 11. September wurden für sie die Visumbedingungen im Westen verschärft. Auf ein US-Visum warten auch unbescholtene Araber bis zu 45 Tage. „Die Golfaraber wollen sich nicht dem Risiko aussetzen, im Rahmen der Antiterrorbekämpfung aus Versehen in einem westlichen Gefängnis zu landen“, erklärt ein ägyptischer Reisebürobesitzer den Trend. Mit der Zunahme der Reisenden aus dem Golf ist auch fast automatisch der Sextourismus gestiegen. In Kairo findet dieser weiterhin nach altem Muster statt. In Damaskus sind es dagegen oft irakische Flüchtlingsfrauen, die versuchen, sich auf diese Weise durchzuschlagen.
Gelegentlich wird der Sextourismus auch durch Frauenhandel in die andere Richtung ersetzt. Letztes Jahr wurden in den ägyptischen Medien Anzeigen für Jobs als Stewardessen und Kellnerinnen in den Golfstaaten geschaltet. Einmal dort angekommen, wurden die jungen Frauen Schritt für Schritt in die Prostitution gezwungen. Das lukrative Geschäft flog auf, nachdem einige Frauen wieder zurückgekehrt waren und die ägyptische Polizei und die Medien über Details des Netzwerkes informierten.
In Ägypten ist der Teufel los:
Satanskult am Nil
(Kairo, den 10. Februar 1997)
Seit Wochen gibt es in der ägyptischen Presse nur noch ein Thema: Weil sie angeblich den leibhaftigen Satan anbeten, steht derzeit eine kleine Gruppe jugendlicher Heavy-Metal-Fans am öffentlichen Pranger.
Nun lockt Derartiges im Westen, der an Grufties und Teenie-Okkultismus gewöhnt ist, kaum mehr jemanden wirklich hinter dem Ofen hervor – außer einige streng katholische Pfarrer und Sektenbeauftragte vielleicht. In der tief religiösen ägyptischen Gesellschaft lösen derartige Geschichten jedoch noch immer regelrechte Schockwellen aus. Für so manchen gläubigen Muslim steht der totale moralische Verfall der Jugend des Landes bevor.
Es ist also kein Wunder, dass die ägyptischen „Ubud Al-Scheitan“– die „Teufelsanbeter“ – schnell zu den Buhmännern und -frauen der ägyptischen Nation gemacht wurden.
Dabei begann die Geschichte äußerst harmlos mit einer Handvoll gelangweilter Jungen und Mädchen aus der ägyptischen Oberschicht. Deren neuester Hit waren Musikkassetten und Videos mit Heavy-Metal-Musik, immer leicht über der Audio-Schmerzgrenze. Der in Ägypten über Satellit zu empfangende Musikfernsehsender MTV tat ein Übriges. Dem folgten ein Dutzend öffentlicher und privater Konzerte in Kairo, gesponsert von multinationalen Konzernen wie McDonald’s.
Eine kleine Szene von ein paar hundert Leuten entstand, die ihre Nische bei regelmäßigen Treffen vor den Filialen der Fast-food-Kette kultivierte und ansonsten über das Internet mit Gleichgesinnten in Großbritannien, Schweden und – zugunsten so mancher jetzt verbreiteter Verschwörungstheorie – auch in Israel in regelmäßiger Verbindung
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