Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
stand.
Einigen aufmerksamen Bürgern waren die unüberhörbaren Partys und Konzerte schnell suspekt – und so heftete sich auch der lokale Geheimdienst bald an diese blasphemische Spur. Als es den Spitzeln gelang, eines der Konzerte auf Video zu bannen, war es um die betroffenen Jugendlichen geschehen.
Denn welch schockierende Bilder musste man da in der Geheimdienstzentrale analysieren. Langhaarige junge Männer, auffallend stark geschminkte junge Frauen, merkwürdige rituelle Tänze, viele Tätowierungen und lange Nägel, Symbole wie umgedrehte Kreuze und selbst einige Tierschlachtungen: kurzum, das Grauen schlechthin.
Schnell berieten sich die für Teufelsanbeter zuständigen Sicherheitsbehörden mit den religiösen Autoritäten des Landes – und man wurde sich bald einig: Dieser skurrilen Modeerscheinung musste sofort ein Riegel vorgeschoben werden. Denn inzwischen war auch die Presse auf das Thema aufmerksam geworden. Zeit zum Handeln. Ein paar Wochen später war es dann so weit. Fast 80 Jugendliche wurden von der Polizei abgeholt und dem Staatsanwalt vorgeführt. Ihre Wohnungen wurden auf den Kopf gestellt. Pornovideos, Teufelsposter und T-Shirts, Kassetten mit Heavy-Metal-Musik und englische Gedichte der Teufelsanbetung wurden von den Behörden als vorgebliche Beweismittel beschlagnahmt.
Wer sich vor dem Staatsanwalt als ausschließlich harmloser Musikfan entpuppte, konnte schon bald gegen Kaution nach Hause gehen. Die besonders harten Fälle wurden aber in zunächst 15-tägiger Untersuchungshaft behalten. In der Presse war eine gewisse Häme über die Betroffenen und ihre Angehörigen nicht zu überhören.
So manches Kind bekannter Musiker, Schauspieler und auch Fernsehansagerinnen war mit von der Partie. Selbst der Sohn eines Provinzgouverneurs soll festgenommen worden sein.
Als wäre das alles nicht ausreichend und die 16- bis 20-Jährigen nicht schon längst genug bestraft durch die Verhöre des Geheimdienstes und die öffentliche Zurschaustellung durch journalistische Schreibtischtäter, traten nun auch die religiösen Autoritäten des Landes auf den Plan.
Das Oberhaupt der koptischen Christen, Papst Schenuda, klagte die höchstmögliche Strafe für die angeblichen Teufelsanbeter ein. Es könne in dem Fall nicht von Rede- und Meinungsfreiheit gesprochen werden, denn Freiheit bedeute, den Menschen von seinen Fehlern zu befreien, ließ er durch einen Sprecher verlauten.
Der muslimische Großmufti Nasser Farid Muhammad Wassel trug ebenfalls sein Scherflein bei. Er erklärte die Jugendlichen schlicht zu Apostaten – zu vom Islam Abtrünnigen – und forderte Reue. Sie müssten ihren „maroden und verdorbenen Gedanken abschwören“, ansonsten drohe ihnen die gerechte Strafe der Scharia, des Islamischen Rechts. Bei Apostasie lautet diese: Todesstrafe.
Nach diesen Äußerungen war zumindest für einen Teil der ägyptischen Presse das erste Mal der Zeitpunkt für ein wenig Besinnung gekommen. Auflagensteigerung war nicht mehr das alleinige Ziel. Ibrahim Issa, Chefredakteur der Wochenzeitung Ad-Dustour (Die Verfassung), war „entsetzt über den ehrenwerten Mufti, der die Jugendlichen für die Todesstrafe freigeben will, weil er sie zu Apostaten erklärt, und über diejenigen, die jene Jugendlichen, die fast noch Kinder sind, vor ein Militärgericht stellen lassen wollen“.
Die Jugendlichen selbst gaben bei ihren Verhören höchst Unterschiedliches zu Protokoll. Den einen gefiel die „Sex-and-Drugs-and-Rock’n’Roll-Atmosphäre“ der Konzerte. So mancher wollte einfach mal so richtig die Gesellschaft schocken. Das Ganze sei einfach „die provokativste Form des Protestes“ in einer Gesellschaft, die von Religion bestimmt sei, beschrieb ein Erstsemester des Ingenieurwesens seine Motivation.
Dass alle festgenommenen Jugendlichen aus gutem Hause stammen, mag am Ende – trotz aller Scharfmacherei – dazu beitragen, dass das ganze Drama um die jugendlichen Teufelsanbeter sein tatsächlich angemessenes Ende bekommt: ein paar hundert heftige Streitereien zwischen Jung und Alt in den Häusern der Fernsehansagerinnen, Gouverneure und anderer Prominenz.
Nachtrag: Und genauso ist es ausgegangen …
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