Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
gebracht, dem Kind zu erklären, dass es bei dem Bombardement seine gesamte Familie verloren hat.“
Korrespondenten-Post aus Beirut
(Beirut, den 31. Juli 2006)
Auf dem zerstörten Markt in der Innenstadt Nabatiyahs wird deutlich, welchen Schaden die israelischen Flieger anrichten können, wenn sie ihre Ladungen abwerfen. Ein ganzer Häuserblock ist vollkommen zerstört. Wir brechen die Fahrt, die eigentlich in der südlibanesische Hafenstadt Tyros enden sollte, ab und kehren über viele Umwege wieder ins vergleichsweise sichere Beirut zurück. Eine gute Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte. Nur eine halbe Autostunde von Nabatiyah entfernt, auf dem Weg nach Tyros, starb am selben Tag eine libanesische Journalistin. Eine Rakete war neben ihrem Fahrzeug eingeschlagen. Wären wir weitergefahren, hätten wir etwa zur gleichen Zeit mit der libanesischen Kollegin die Stelle passiert.
Zurück in Beirut: die Stadt der heißen und kalten Duschen. Ein krasser Wechsel von Hoffnung und Angst begleitet die Menschen. „Werden die Israelis jetzt wieder Beirut bombardieren?“, lautet die Frage, nachdem wieder eine Hisbollah-Rakete südlich von Haifa eingeschlagen ist.
Von meinem Hotelfenster aus sehe ich die Beiruter Hafeneinfahrt. Vor kurzem lief ein erstes US-Kriegsschiff mit Hilfslieferungen ein: Der Libanon kriegt amerikanische Carepakete, Israel US-Hightech-Präzisionsraketen. Im Hafen ist es inzwischen ruhiger geworden. Die Libanesen, die das Glück hatten, einen ausländischen Pass zu besitzen, sind bereits mithilfe ihrer Botschaften außer Landes gebracht worden. Mit jedem auslaufenden Schiff zu denken, dass das Land jetzt sich selbst überlassen wird, wenigstens dieses mulmige Gefühl für die verbliebenen Beiruter ist vorbei. Auch die regelmäßigen Bombardierungen der südlichen Vorstadt haben in den letzten Tagen ein wenig nachgelassen. Architektonisch würde es auch keinen Unterschied mehr machen. Aus einem Wohngebiet haben die israelischen Bomben inzwischen eine verkraterte Mondlandschaft gemacht. Sogar die Hisbollah-Kämpfer, die an allen Zufahrtsstraßen wachen, sind etwas relaxter geworden, zumindest gegenüber Arabisch sprechenden Journalisten. Na ja, wenn es denn sein müsse, sagen sie, könne das Kamerateam auch ohne telefonische Genehmigung der Hisbollah-Pressestelle hier filmen, wenn es nur schnell gehe. Allzu lange will man sich zwischen den Trümmerhaufen und dem Geruch nach Verbranntem aber ohnehin nicht aufhalten, wer weiß, ob die israelischen Kampfjets nicht doch gerade wieder in dieser Minute zurückkehren.
Auch die deprimierenden Besuche in den Krankenhäusern führen immer wieder vor Augen, dass die Gefahr nicht nur theoretischer Natur ist. Hier liegt die Familie Scheito. Sie wollte letzte Woche gemeinsam aus ihrem umkämpften Dorf Bint Dschbeil fliehen, als ihr Kleinbus von einer israelischen Rakete beschossen wurde. 14 Familienmitglieder sind jetzt im Krankenhaus, die meisten mit Verbrennungen. Drei liegen noch tot auf der Strecke, da es keiner gewagt hat, die Leichen zu bergen.
Das Krankenhaus ist voll mit derartigen Geschichten. Ein Ort, an dem die anonyme Opferstatistik dieses Krieges plötzlich ein reales, verbranntes Kindergesicht bekommt. In der Nacht träume ich: eine Mischung aus Szenen mit meinen eigenen drei Kindern und denen aus dem Krankenhaus.
In Beirut selbst begann am Donnerstag wieder eine Art Normalität. Endlich wieder die ersten Autostaus zur Mittagszeit. Endlich wieder Leute auf den Straßen. Endlich wieder offene Läden, wenn auch noch nicht alle. Vielen fehlt es noch an Personal, das im Süden hängen geblieben ist. Abends bevölkern die Menschen wieder die Corniche, die Uferpromenade am Mittelmeer, und genießen die kühlende Abendbrise. Die Kinder kurven mit ihren Fahrrädern herum, die Alten haben Plastikstühle mitgebracht und schmauchen in Ruhe ihre Wasserpfeife. Ab und zu blicken sie prüfend zum Meer, ganz so, als wollten sie kontrollieren, ob nicht doch ein israelisches Kriegsschiff auftaucht und wie in den ersten Tagen des Krieges Raketensalven in die Stadt feuert. In dem Getümmel kann man den Lärm der hoch fliegenden israelischen Flugzeuge nicht mehr hören. Im ganzen Libanon gibt es, anders als in Nordisrael, keinen Luftalarm oder irgendwelche Vorwarnungen – nur eine gehörige Portion Fatalismus. Es stehe eben schon geschrieben, wo und wann man sterben wird, beruhigen sich viele.
In dem einzigen Café am Meer, das inzwischen wieder
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