Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Titel: Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim El-Gawhary
Vom Netzwerk:
Grande Dame der irakischen Antiquitätenszene.
    Auch jetzt sitzt sie wieder hinter ihrem massiven alten Holzschreibtisch mit den Ausmaßen zweier Tischtennisplatten und blickt beim dunklen Schlag der Glocke erwartungsvoll in Richtung Eingang. Die Atmosphäre hat sich verändert. Anders als früher ist es in dem Laden ziemlich düster. Ein Blick auf die oberen Fenster verrät, warum. Madame Pio hat sie letzte Woche mit grauen Blechen verrammeln lassen, aus Angst vor bevorstehenden Bombenangriffen. Auch die Auslagen im Fenster sind leer, genauso wie ein großer Teil der Vitrinen. Selbst der Stapel mit den Teppichen ist auffällig niedrig. Gut zwei Drittel ihrer Waren habe sie bereits zusammengepackt und nach Hause transportieren lassen, erzählt die 52-Jährige.
    „Wenn es losgeht, möchte ich bei all meinen alten Dingen sein, die mir wichtig sind“, sagt sie. Kundschaft komme ohnehin kaum noch. Die meisten Ausländer haben die Stadt verlassen, genauso wie viele reiche Irakis, die normalerweise zu ihren besten Kunden zählen. Verkaufen tut auch niemand mehr etwas. Die meisten halten an dem fest, was sie haben, und hoffen, es durch die unsicheren Zeiten zu bringen.
    „Seit die Fensterbleche das natürliche Licht aussperren, ist das hier ein trauriger Ort geworden“, bemerkt Madame Pio. „Wenn du die wirklichen Farben eines Teppichs sehen willst, brauchst du Tageslicht.“ Es macht einfach keinen Spaß mehr, in der Sammlung herumzukramen.
    Nicht nur Bombardements fürchtet sie, auch Plünderungen bei einem möglicherweise ausbrechenden Chaos. Ein befreundeter Silberhändler habe ihr erzählt, dass er all seine kostbaren Waren nach Hause schaffen und selbst den Safe im Geschäft offen lassen werde, damit sich jeder überzeugen kann, dass dort nichts zu holen ist.
    Die Galerie Pio ist fast ein halbes Jahrhundert alt. Seit den frühen 70er-Jahren hatte Madame Layla ihrem Vater Yussuf Pio, einem bekannten irakischen Dichter, im Geschäft geholfen und von ihm alles gelernt, was es über irakische Antiquitäten zu wissen gibt. Seit über 20 Jahren schmeißt sie den Laden nun alleine und ist inzwischen so gut geworden, dass sie im französischen Kulturinstitut in Bagdad regelmäßig Vorträge über kurdische Kelims, persische Teppiche oder alte irakische Textilien hält.
    Ein paar alte seidene Kissenbezüge liegen auf dem Boden ausgebreitet. Sie streicht liebevoll darüber und erzählt, wie sie vor einem Jahrhundert von den geschickten Händen einiger irakischer Nonnen mit Blattsilber bestickt wurden. Damals waren diese Bezüge bei reichen Bagdadis als Hochzeitsbeigabe hochbegehrt. Sie selbst, erzählt die einer bekannten assyrisch-katholischen Familie entstammende Madame Pio, lasse die Geschichte ihrer Sammlung noch einmal an sich vorbeiziehen. Mal sehe sie sich jeden Tag ihre Teppiche, mal ihr Silber, mal ihre Textilien an. Und es fällt ihr sichtlich schwer, jetzt alles zusammenzupacken.
    Freunde in Beirut haben ihr und ihrem Mann angeboten, für die nächsten Wochen sicherheitshalber in die libanesische Hauptstadt zu kommen. Madame Pio hat lange mit ihrem Mann diskutiert, ob sie dieses Angebot annehmen sollten. Sie haben sich dagegen entschieden. Gerade letzte Woche war Madame Pio noch zu einem Kurzbesuch im jordanischen Amman. Alle hatten sie für vollkommen verrückt erklärt, als sie sich wieder auf den Weg nach Bagdad machte.
    Ihre Generation, sagt sie, kann hier nicht weggehen. „Wir haben viel zu gute Erinnerungen an das alte Bagdad, vor dem Kuwait-Einmarsch und den UN-Sanktionen, an die Restaurants, Bars und Nachtklubs und deren Besucher aus aller Welt.“ Morgens habe man in der Stadt nach Antiquitäten gesucht, nachmittags sei man in eine Kunstgalerie gegangen und abends folgte meist eine Einladung zu einer Dinnerparty. Und überhaupt, sagt sie, wohin soll eine Antiquitätenhändlerin gehen, deren ganzes Leben aus privaten Dingen aus Bagdads Vergangenheit besteht?
    Also macht sie wie gehabt weiter, öffnet jeden Vormittag und jeden Nachmittag ihre immer leerer werdende Galerie und harrt der Dinge, die als Nächstes auf sie zukommen. Sie sei von Natur aus optimistisch. Sie lebe nach dem „Prinzip Hoffnung“, denn, sagt Madame Pio, „ohne Hoffnung bist du schon tot, bevor du gestorben bist“.
    Korrespondenten-Post vom Weg nach Bagdad
    (Amman, den 11. April .2003)
    In der Visumsabteilung der irakischen Botschaft in Kairo herrscht unter den dortigen Konsularbeamten eine eher phlegmatische Stimmung,

Weitere Kostenlose Bücher