Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Militärangaben wurden insgesamt 23 Tonnen Bomben auf die Stelle abgeworfen, darunter auch bunkerbrechende Waffen. Der Rauch hat sich auch noch am nächsten Tag nicht ganz verzogen. An manchen Stellen glimmen noch kleinere Feuer, nur langsam geht den Flammen die Nahrung aus.
Je länger Nablusi über den Schutt vorausklettert, umso erregter wird er. „Sie zielen immer auf zivile Einrichtungen. Warum wagen sie es nicht, sich mit unseren Kämpfern an der Grenze zu messen! Stattdessen kommen sie mit ihren hoch fliegenden Kampfflugzeugen und zielen auf Zivilisten“, echauffiert er sich. Hier gehe es nicht um zwei entführte israelische Soldaten, sondern um eine Racheaktion, erklärt er seine Sicht der Dinge. Der israelische Premier Olmert habe einfach nicht überwunden, dass die Hisbollah die einzige militärische arabische Organisation sei, die Israel eine Niederlage bereitet habe, sagt er und bezieht sich auf den Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon vor sechs Jahren.
Vereinzelt und nur kurz kommen die Einwohner in das Viertel zurück, um ein paar Habseligkeiten abzuholen. Ein alter Mann läuft die Straße entlang, er hat ein paar Hemden und Hosen aus dem Kleiderschrank gerettet, die er jetzt an den Kleiderbügeln über die Schulter geschwungen hat. Er lebe hier, sagt der Mann und deutet auf ein Haus an der Straßenecke, das noch steht. Er sei kurzfristig bei Verwandten in der Bekaa-Ebene untergekommen. Er ist kurz angebunden und zieht eilig seines Weges. Keiner weiß, wann die nächsten Bomben einschlagen werden.
Nach Süden, in den Krieg
(Beirut-Nabatiya, den 24. Juli 2006)
Endstation heißt es schon nach einer Viertelstunde. Die Fahrt Richtung Südlibanon kann zunächst nicht fortgesetzt werden. Hier, auf der Küstenautobahn südlich von Beirut, haben israelische Bomben den Asphalt der dreispurigen Trasse zerfetzt. Das grüne Autobahnschild, das jenseits der Trümmer standhaft anzeigt, hier gehe es nach Sidon, ist nur noch theoretischer Natur. So wird eine Fahrt in den umkämpften Süden des Landes, die zu Friedenszeiten eine Stunde dauern würde, zu einer Odyssee von mehr als vier Stunden.
Die Reise geht über die kurvigen Straßen des drusischen Schuf-Gebirges, durch Täler und über Berge, langsam Richtung Süden. Die Dorfstraßen sind oft zu eng, um zwei Fahrzeuge gleichzeitig passieren zu lassen. Immer wieder halten wir, um zunächst die Autos mit den Flüchtlingen aus dem Süden vorbeizulassen. Das typische Fluchtfahrzeug ist ein rostiger, dreißig Jahre alter Mercedes oder BMW, darin drei Generationen einer Familie. Vater fährt, Mutter sitzt mit zwei Kindern auf dem Schoß auf dem Vordersitz, die Großeltern haben sich mit dem Rest des Nachwuchses auf die Rückbank gequetscht. Wegen des vielen Gepäcks liegt das Auto gefährlich niedrig auf der Straße, vor allem hinten, wo häufig der Kofferraumdeckel klafft und notdürftig von einer Schnur gehalten wird. Koffer, Taschen, manchmal auch eine Matratze, ragen heraus. An die Autoantenne ist ein weißes Taschentuch gebunden, zur Sicherheit hält oft auch noch ein Kind ein weißes Bettlaken aus dem Rückfenster. Sie alle haben vor der militärischen Übermacht Israels kapituliert und versuchen nun, lebend in den sichereren Norden zu kommen.
Das gelingt nicht immer. „Tag der Autos“ haben die libanesischen Ärzte im Krankenhaus der südlich gelegenen Stadt Tyros den gestrigen Tag getauft. Denn immer wieder hat die israelische Luftwaffe Autos beschossen, mehr als 40 Menschen sind in ihren Fluchtfahrzeugen gestorben.
Auf der Bergkuppe kurz hinter der libanesischen Kleinstadt Jezzine ist die Situation dann völlig verändert: Auf der Straße fährt kaum mehr ein Fahrzeug. Hier weisen selbst kleine Straßen Bombenkrater auf, mehrmals müssen wir umdrehen und die Stellen umfahren. Unter einer Baumgruppe taucht plötzlich ein Konvoi auf: drei Busse und ein halbes Dutzend Pkws. Darin sitzen deutsche und österreichische Flüchtlinge, die mit Hilfe der österreichischen Botschaft in Beirut in den Dörfern des Südens eingesammelt worden sind. „Seit zehn Tagen ist unsere Botschaft in Kontakt mit uns. Ich bin froh, dass sie es jetzt geschafft haben, uns hier herauszuholen“, sagt Rola Asi, eine Österreicherin libanesischer Herkunft. Dann bricht sie in Tränen aus: „Meine Eltern sind im Dorf zurückgeblieben. Ich hoffe, sie werden das überleben“, sagt die erschöpfte Frau. Seit zwölf Tagen konnten weder sie noch ihre Kinder schlafen,
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