Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
gelegentlich akzentuiert durch das Schlürfen des süßen irakischen Tees. Zumindest die unteren Chargen sind zur Arbeit erschienen, mit oder ohne Saddam Hussein. Es gebe keine Verbindung mehr mit Bagdad, „fliegen Sie doch zu unserer Botschaft in Damaskus oder Amman und versuchen dort Ihr Glück – Inschallah“, lautet die lakonische Botschaft.
Nun denn. Auf nach Amman. Dort, in der irakischen Botschaft, geht es tatsächlich anders zu, es herrscht Aufbruchstimmung, zumindest was das Finanzielle angeht. Am Vormittag hat die Nachricht kursiert, dass zwar der irakische Grenzposten geräumt ist, die jordanischen Grenzbeamten aber nur Leute mit einem gültigen Irakvisum weiterreisen ließen. Für 1200 Dollar das Stück hat der Konsularbeamte daraufhin die letzten Visa an eine Gruppe Desperado-Journalisten vertickert. Für das Sümmchen drückte er nicht nur ein Auge zu – sondern ohne „Kontakt zum Außenministerium in Bagdad“ den begehrten Stempel in den Pass. Zur Mittagsstunde stand dann nur noch der Pförtner hinter dem verschlossenen Tor und versuchte last minute noch seine Schäflein ins Trockene zu bringen. Sein Angebot: Gib mir eine Kopie deines Passes und 200 Dollar und morgen kannst du dein Visum abholen – Inschallah.
Doch dann wurde bekannt, dass sich die Jordanier an der Grenze von dem auf 60 Autos angeschwollenen Journalistenkonvoi nur noch ein Papier unterschreiben ließen, dass man vollkommen auf eigene Verantwortung und Gefahr das Land verlasse. Ein irakisches Visum, jahrelang Objekt heftiger journalistischer Begierde und Leidens, ist nun nicht mehr nötig.
Inzwischen kommt neue „Stille (Grenz-)Post“ von den Kollegen unterwegs fast im Stundentakt. Amerikanische Soldaten sollen den verlassenen irakischen Grenzposten übernommen haben. Deren Politik: freundlich durchwinken, keine Interviews geben.
Im neuen Irak
Die Familie Radwan in Bagdad war ein echter Glücksfall. In den Jahren Saddams galt es immer, als Journalist die staatlichen Aufpasser abzuschütteln, um doch irgendwie zu versuchen, ein wirkliches Bild vom Irak zu erhalten. Doch die meisten Iraker hatten auch ohne Saddams Schergen Angst, mit einem Journalisten zu sprechen. Wären da nicht die Radwans gewesen, die mich in den letzten sechs Jahren unter Saddam, in denen ich regelmäßig nach Bagdad gereist bin, immer wieder zu sich eingeladen haben. Dabei haben mir der Vater Zuhair, die Mutter Intisar und ihre beiden Töchter Sarah und Samma etwas vermittelt, das den meisten Journalisten verborgen geblieben ist: das Leben einer irakischen Familie zu Saddams Zeiten und nach dessen Sturz.
Bei unserem letzten gemeinsamen Mittagessen, bevor der Krieg mit einem heftigen Bombardement Bagdads begann, diskutierten wir darüber, wie man den beiden damals acht- und elfjährigen Mädchen am schonendsten beibringt, was auf sie zukommt. In den Medien war von US-amerikanischen Plänen die Rede, laut denen in der ersten Nacht 400 Marschflugkörper abgefeuert und 3000 Bomben abgeworfen würden. Kann man ein solches Szenario den Kindern erklären? Dass es nicht zum Krieg kommen würde, glaubte zu dieser Zeit, nach einem monatelangen US-Militäraufmarsch an den Grenzen des Irak, niemand mehr. Wie es Zuhair damals fasste: „Wer sich einmal ein Kondom übergestülpt hat, der wird es dabei nicht belassen.“
In den ersten Kriegstagen hatte ich die Familie jeden Tag aus dem benachbarten jordanischen Amman angerufen. „Bei den Luftangriffen verhalten wir uns inzwischen immer nach einem ähnlichen Muster. Meine Frau singt unseren verängstigten Töchtern während der lauten Einschläge Kinderlieder vor und dann wird meist die Musik aufgedreht und getanzt. Ich habe gestern das erste Mal Flamenco getanzt“, erzählte Zuhair am Telefon.
Als ich am 12. April 2003 am Nachmittag schließlich unangekündigt vor ihrem Haus in Bagdad erscheine, war der Kontakt bereits seit zwei Wochen abgebrochen. In der Stadt gab es weder Strom noch Telefone. Aber die Bombardements waren vorbei und die Amerikaner patrouillierten durch die Stadt. Die beiden Töchter Sarah und Samma spielten mit den Nachbarkindern auf der Straße. Zuhair stand am Gartentor und wollte gerade zur wieder neu eröffneten Bäckerei gehen, um Brot zu kaufen. „Wenn wieder Besuch aus dem Ausland kommen kann, ist wohl das Schlimmste überstanden“, sagt seine irakische Frau Intisar zur Begrüßung und bricht in Tränen aus.
Saddam ist weg, es lebe …?
Die Familie Radwan versucht sich im neuen Irak
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