Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
geöffnet hat, direkt neben Manara, dem Leuchtturm am westlichsten Zipfel der Stadt, arbeitet der junge Iraker Ali. Er bereitet in dem Café die Wasserpfeifen vor. „Vor zwei Jahren bin ich aus Bagdad ins ruhigere Beirut geflohen, und jetzt das.“ Sein Lachen über diesen Zustand ist eine Mischung aus Komik und Tragik, Kriegstragikomik. Ansonsten gibt sich Ali gelassen. Er ist ein echter Fachmann des Krieges. Am Anfang hatten die Israelis den benachbarten Leuchtturm mit Raketen beschossen. Plötzlich kam der Apache-Kampfhubschrauber übers Meer geflogen. „Ich habe den Leuten gesagt, der feuert jetzt, aber sie haben mir nicht geglaubt. Ich kenne das von den US-Apaches im Irak. Kurz bevor sie feuern, müssen sie zielen und bleiben kurz in der Luft stehen“. Kurz darauf schlugen zwei Raketen in den Leuchtturm ein, „aber nur zwei kleine“, meint der unfreiwillig Kriegserprobte und zeigt auf die Spanne zwischen seinem Daumen und Zeigefinger.
Auch die Barometer-Bar unweit der berühmten Hamra-Flaniermeile im Westen Beiruts hat wieder aufgemacht. Gegen Mitternacht ist sie proppenvoll. Die jungen Libanesen, die tagsüber ehrenamtlich helfen, die Flüchtlingsfamilien aus dem Süden zu versorgen, kommen auf einen Drink hier vorbei. Der Fernseher läuft neben der Theke, in Schwarzweiß und ohne Ton. Keiner sieht hin. Die Besucher der Bar wollen wenigstens für ein paar Stunden die Nachrichten vergessen. Der Bruder des Vize-Hisbollah-Chefs Naim Qassem sitzt mit seinen Freunden am Nachbartisch. Er hat einen anderen Weg als sein prominenter Bruder eingeschlagen und ist ein stadtbekannter DJ geworden. Hisbollah-Vizechef und linker DJ in einer Familie. Auch das ist ein Teil der libanesischen Realität.
Der Irak-Krieg
Auch Saddam drückte einst die Schulbank, unter anderem in Kairo. Genau gesagt ging er 1959 auf die Kasr-El-Nil-Hochschule im Kairoer Bezirk Dokki. Den Irak hatte der spätere Diktator damals kurzzeitig verlassen müssen, da er dort wegen eines Mordes steckbrieflich gesucht wurde. Bis heute erzählt man sich in einem der Schule nahegelegenen Kaffeehaus in Kairo die Geschichten von damals. Saddam war kein besonders guter Student und hat viel Zeit in diesem Café verbracht. Dort fiel er vor allem dadurch auf, dass er seine Zeche nicht bezahlen konnte und stets anschreiben ließ. Die Schulden nahm er dann mit sich, als er über Nacht 1961 in den Irak zurückkehrte. Der Besitzer des Cafés hatte den unangenehmen Gast schon fast vergessen und auch nicht allzu aufmerksam die Nachrichten verfolgt, als Jahre später tatsächlich ein Bote aus der irakischen Botschaft vorbeikam, um die „Ehrenschulden des irakischen Präsidenten“ zu begleichen. „Wie?“, soll der von der unerwarteten Zahlung damals überraschte alte Kaffeehausbesitzer gesagt haben, „der unnütze Saddam Effendi hat inzwischen tatsächlich eine Arbeit gefunden?“
Wer als Iraker unter der Herrschaft Saddams geboren wurde, der hat viel Pech gehabt. Zunächst der sinnlose, fast acht Jahre andauernde Krieg gegen den Iran. Dann nur zwei Jahre später der Einmarsch nach Kuwait, mit dessen Ölreichtum Saddam Hussein die Schulden des ersten Golfkrieges tilgen wollte, nur um damit den zweiten Golfkrieg vom Zaun zu brechen. Mit der von US-Präsident Bush senior verkündeten Operation „Wüstenschild“ werden die Iraker aus Kuwait vertrieben. Es folgen die zwölf nicht weniger mörderischen Jahre der UN-Sanktionen, bevor im Frühjahr 2003 Saddam gestürzt wird und ein neues, ebenso blutiges Kapitel irakischer Geschichte beginnt. Eines ist für die Iraker vor und nach Saddam gleich geblieben: Die Gegenwart ist stets der Tiefpunkt und doch bleibt der bange Blick in die Zukunft und die unbestimmte Hoffnung, dass es irgendwann vielleicht doch besser werden könnte.
In der Vorkriegszeit:
Zu Besuch bei Madame Pio
(Bagdad, den 18. Februar 2003, wenige Wochen vor Kriegsausbruch)
Sie war bei jeder Reise nach Bagdad einen Besuch wert, die Pio-Galerie unweit des Tigris, in einer kleinen Passage im Zentrum der Hauptstadt. Wer durch die Tür des Antiquitätenladens trat, über der eine schwere Glocke den Besucher ankündigte, der tauchte in eine fast unwirkliche Traumwelt ein, mit irakischen und persischen Teppichen, alten kurdischen Hochzeitskleidern, blank geputzten silbernen Samowars und antiken schweren Truhen. Über dem Ganzen lag stets der Geruch der reichhaltigen irakischen und osmanischen Vergangenheit. Und mittendrin saß Madame Layla Yussuf Pio, die
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