Allwissend
gewesen war, und Dance konnte sich gut vorstellen, wie Julio am Bett seines Bruders stand und sich vorbeugte, während Juan ihn flüsternd anflehte, ihn von seinen Qualen zu erlösen.
Tötet mich...
Warum sonst hätte Julio sich unter falschem Namen in die Besucherliste eintragen sollen?
Wieso hatten Harper und seine Ermittler diese Verbindung übersehen? Dance war wütend. Sie hatte den Verdacht, dass die Anklage durchaus von dem Umstand wusste, ihn aber absichtlich verschwieg, weil es für Robert Harpers Kampf gegen das Gesetz zur aktiven Sterbehilfe eine bessere Publicity bedeutete, wenn er die Mutter einer staatlichen Ermittlungsbeamtin anprangern konnte. Gedanken an Strafvereitelung im Amt schwirrten ihr durch den Kopf.
Dance rief George Sheedy an und hinterließ eine Nachricht über die Funde von Connie Ramirez. Dann wählte sie die Nummer ihrer Mutter, um ihr sofort davon zu erzählen. Es hob niemand ab.
Verdammt. Hatte Edie das Telefon ihrer Tochter geblockt?
Dance trennte die Verbindung, lehnte sich zurück und dachte über Travis nach. Falls er noch am Leben war, wie viel Zeit blieb ihm noch? Ein paar Tage, ohne Wasser. Und was für ein schrecklicher Tod das sein würde.
TJ Scanion kam zur Tür herein. »Hallo, Boss.«
Sie spürte, dass etwas dringend war.
»Liegen die Ergebnisse der Spurensicherung vor?«
»Noch nicht, aber ich treibe sie vor mir her. Wie bei Tausend Meilen Staub, weißt du noch? Ich bin wegen etwas anderem hier. Das MCSO hat sich gemeldet. Es ist ein anonymer Anruf über den Kreuz-Fall eingegangen.«
Dance richtete sich ein Stück auf. »Worum ging's?«
»Der Anrufer hat gesagt, er habe etwas gesehen, und zwar - Zitat - >etwas in der Nähe von Harrison Road und Pine Grove Way<. Das ist unmittelbar südlich von Carmel.«
»Was genau hat er gesehen?«
»Das hat er nicht gesagt. Bloß >etwas<. Ich habe die Kreuzung überprüft. In der Nähe gibt es eine verlassene Baustelle. Und der Anruf kam von einem Münzfernsprecher.«
Dance überlegte einen Moment. Ihr Blick fiel auf einen Zettel, eine Kopie von Postings aus dem Chilton Report. Sie stand auf und zog ihre Jacke an.
»Fährst du hin und siehst nach?«, fragte TJ unschlüssig.
»Ja. Ich will ihn unbedingt finden, falls es irgendwie möglich ist.«
»Das ist eine ziemlich unheimliche Gegend, Boss. Willst du nicht lieber Verstärkung mitnehmen?«
Sie lächelte. »Ich glaube nicht, dass mir allzu große Gefahr droht.«
Immerhin lag der Täter im Leichenschauhaus von Monterey County.
Die Decke des Kellers war schwarz gestrichen. Sie enthielt achtzehn Balken, ebenfalls schwarz. Die Wände waren schmutzig weiß, die Farbe billig. Sie bestanden aus 892 Mauersteinen. Vor einer Wand standen zwei Regale, eines aus grauem Metall, das andere aus ungleichmäßigem weißem Holz. Darin lagerten ein großer Vorrat Konservendosen, Kartons voller Pasta, Erfrischungsgetränke und Wein, Werkzeuge, Nägel, persönliche Gegenstände wie Zahnpasta und Deodorant.
Vier Metallpfeiler stützten die Decke. Drei standen dicht beieinander, einer weiter weg. Sie waren dunkelbraun angemalt, aber sie waren auch rostig, und man konnte kaum erkennen, wo die Farbe aufhörte und die Oxidation anfing.
Der Boden war aus Beton, und die Risse ergaben vertraute Formen, wenn man sie nur lange genug anstarrte: ein sitzender Panda, der Staat Texas, ein Lastwagen.
In der Ecke stand ein alter Heizkessel, schmutzig und verbeult. Er wurde mit Erdgas betrieben und sprang nur selten an. Und auch dann gab er hier unten nicht allzu viel Wärme ab.
Die Fläche des Kellers betrug elf Meter achtundzwanzig mal acht Meter vierundfünfzig, was sich leicht anhand der Mauersteine ausrechnen ließ, die genau dreißig Zentimeter breit und zweiundzwanzig Komma fünf Zentimeter hoch waren. Für den Mörtel musste man allerdings jeweils einen halben Zentimeter hinzurechnen.
Außerdem gab es hier unten einige Tiere. Hauptsächlich Spinnen. Man konnte sieben Familien zählen, falls Spinnen überhaupt in Familienverbänden lebten, und sie schienen jeweils eigene Territorien zu besetzen, um die anderen nicht zu reizen - oder von ihnen gefressen zu werden. Käfer und Tausendfüßer gab es auch. Vereinzelt Mücken und Fliegen.
Etwas Größeres hatte Interesse für die Nahrungsmittel und Getränke in der gegenüberliegenden Ecke des Kellers gezeigt, eine Maus oder Ratte. Aber es hatte Angst bekommen, war geflohen und nicht mehr zurückgekehrt.
Oder hatte Gift gefressen und war
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