Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
Darstellung in den Medien. Aber sofern der Junge während seiner Kindheit relativ normale Entwicklungsstadien durchlaufen hat, würde ich mir deswegen nicht allzu viele Gedanken machen. Ja, manche Kinder können hinsichtlich der Folgen von Gewalt abstumpfen, wenn sie in zu jungen Jahren ständig in gewisser, zumeist visueller Weise damit konfrontiert werden. Aber auch im schlimmsten Fall werden sie dadurch lediglich desensibilisiert und nicht zu einer Gefahr für die Allgemeinheit. Die Tendenz zur Gewalt bei jungen Menschen liegt fast immer in einer inneren Wut begründet und nicht an irgendwelchen Filmen oder dem Fernsehen.
    Nein, ich meine etwas anderes, wenn ich sage, dass Computerspiele womöglich eine grundlegende Wirkung auf Travis haben. Diese Veränderung der Jugend zieht sich quer durch unsere Gesellschaft. Er könnte die Fähigkeit verlieren, zwischen der synthetischen Welt und der wirklichen Welt zu unterscheiden.«
    »Welche synthetische Welt?«
    »Der Begriff stammt aus einem Buch von Edward Castronova zu dem Thema und bezeichnet die Welt der Online-Spiele und virtuellen Sphären wie Second Life. Das sind Fantasiewelten, die man mittels des Computers, des PDA oder irgendeines anderen digitalen Geräts betritt. Die Leute unserer Generation ziehen für gewöhnlich eine klare Grenze zwischen der synthetischen und der echten Welt. In der echten Welt isst man mit seiner Familie zu Abend, spielt Softball oder geht zu einer Verabredung, nachdem man sich aus der synthetischen Welt ausgeloggt und den Computer heruntergefahren hat. Doch jüngere Leute - und damit meine ich heutzutage auch Leute Mitte zwanzig und sogar Anfang dreißig - sehen dort keinen Unterschied mehr. Die synthetischen Welten werden immer realer für sie. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat allen Ernstes ergeben, dass fast ein Fünftel der Teilnehmer eines bestimmten Online-Spiels die wirkliche Welt nur noch als einen Ort zum Essen und Schlafen wahrnimmt und die synthetische Welt als eigentliche Heimat empfindet.«
    Dance war überrascht.
    Boling lächelte beim Anblick ihres offenbar naiven Gesichtsausdrucks.
    »Oh, ein durchschnittlicher Gamer verbringt mühelos dreißig Stunden pro Woche am Computer, und auch das Doppelte kommt nicht selten vor. Hunderte Millionen Menschen haben in der einen oder anderen Form bereits einschlägige Erfahrungen mit der synthetischen Welt gesammelt, und eine zweistellige Millionenzahl verbringt den Großteil des Tages dort. Und wir reden hier nicht von Pac-Man oder Pong. Der Realitätsgrad dieser Kunstwelten ist inzwischen erstaunlich hoch. Man bewegt sich - mittels eines Avatars, einer Figur, die man steuert - in einer Umgebung, die so komplex ist wie die, in der wir leben. Kinderpsychologen haben erforscht, wie Leute mit ihren Avataren umgehen, und dabei festgestellt, dass die Spieler unterbewusst tatsächlich das Verhalten von Eltern an den Tag legen. Auch Wirtschaftswissenschaftler haben die Spiele untersucht, denn man muss dort Fähigkeiten erlernen, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, oder man verhungert. In den meisten der Spiele verdient man Geld in einer künstlichen Währung. Diese Währung wird für echte Dollars, Pfunde oder Euros auf eBay gehandelt - in der Kategorie >Computerspiele<. Man kann virtuelle Gegenstände kaufen und verkaufen - zum Beispiel Zauberstäbe, Waffen, Kleidungsstücke, Häuser oder sogar die Avatare selbst -, natürlich ebenfalls gegen echtes Geld. Vor einiger Zeit haben ein paar Spieler in Japan Hacker verklagt, die virtuelle Objekte aus ihren Häusern in der synthetischen Welt gestohlen hatten. Sie haben den Fall gewonnen.«
    Boling beugte sich vor, und Dance bemerkte abermals dieses Funkeln in seinen Augen und die Begeisterung in der Stimme. »Eines der besten Beispiele für die Wechselbeziehungen zwischen der synthetischen und der echten Welt findet sich in einem berühmten Online-Spiel namens World of Warcraft. Die Entwickler hatten eine Krankheit erschaffen, die als sogenannter Debuff dienen sollte - als eine Möglichkeit, die Gesundheit oder Stärke der Figuren gezielt zu reduzieren. Sie hieß >Corrupted Blood<. Besonders mächtige Charaktere sollten durch sie geschwächt werden, weniger starke Figuren wurden sogar getötet. Aber dann geschah etwas Merkwürdiges, und bis heute weiß niemand so genau, wie es dazu kommen konnte: Die Krankheit geriet außer Kontrolle und verbreitete sich selbsttätig. Sie wurde zu einer virtuellen Pest. Dabei hatten die

Weitere Kostenlose Bücher