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Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Pflegeheim zu ziehen. Doch O'Neil war entschlossen, das Haus im Familienbesitz zu behalten.
    Dance drehte sich um und sah zwei Männer. Chilton - sie erkannte ihn von den Fotos wieder - trug ein grünes Polohemd, eine Stoffhose und eine Baseballmütze, unter der mehrere blonde Haarbüschel hervorragten. Er war hochgewachsen und anscheinend in guter Form, denn es wölbte sich nur ein kleiner Bauchansatz über seinem Gürtel. Er sprach soeben mit einem anderen Mann mit rotblondem Haar, Jeans, weißem Hemd und braunem Sakko. Dance wollte zu ihnen gehen, aber Chilton führte den Mann flink zur Tür hinaus. Seine Körpersprache verriet ihr, dass sein Besucher - um wen es sich auch handeln mochte - nichts davon erfahren sollte, dass eine Vertreterin der Strafverfolgungsbehörden mit ihm reden wollte.
    »Nur noch einen Moment«, wiederholte Patrizia.
    Doch Dance ging an ihr vorbei und weiter auf den Flur. Sie spürte, dass die Frau sich anspannte und ihren Mann schützen wollte, doch eine Vernehmungsbeamtin muss sofort die Initiative ergreifen; sie darf die Situation nicht dem Gesprächspartner überlassen. Aber als Dance die Eingangstür erreichte, hatte Chilton sich bereits umgewandt, und der Mietwagen fuhr davon. Der Kies knirschte unter den Reifen.
    Chiltons grüne Augen - deren Farbe der von Dances Sonnenbrille entsprach - richteten sich auf sie. Sie gaben sich die Hand, und Kathryn las aus dem gebräunten, sommersprossigen Gesicht des Bloggers Neugier und einen gewissen Trotz ab, aber kaum Argwohn.
    Erneut zeigte sie ihren Dienstausweis. »Könnten wir uns ein paar Minuten unterhalten, Mr. Chilton?« »In meinem Büro, gern.«
    Er rührte sie den Flur entlang. Der Raum, den sie betraten, war bescheiden eingerichtet und unordentlich, mit stapelweise Zeitschriften, Zeitungsausschnitten und Computerausdrucken. Dance fand Jon Bolings Angaben bestätigt: Der Beruf des Reporters war im Umbruch begriffen. Kleine Zimmer in privaten Häusern und Wohnungen traten an die Stelle der Großraumbüros von Tageszeitungen. Belustigt entdeckte sie eine Tasse Tee neben dem Computer - es roch nach Kamille. Die heutige Generation hartgesottener Journalisten kam offenbar ohne Zigaretten, Kaffee und Whisky aus.
    Sie nahmen Platz, und er zog eine Augenbraue hoch. »Er beschwert sich also, ja? Aber ich bin neugierig. Warum die Polizei, warum keine Zivilklage?«
    »Wie bitte?« Dance war verwirrt.
    Chilton lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, nahm die Mütze ab, rieb sich den kahl werdenden Kopf und setzte die Mütze wieder auf. Er war verärgert. »Oh, er faselt immerzu von Rurmord. Aber wenn es wahr ist, ist es keine Verleumdung. Und außerdem - auch wenn ich die Unwahrheit schreiben würde, was nicht der Fall ist, gilt das in diesem Land nicht als Verbrechen. Im stalinistischen Russland war das vielleicht der Fall, aber doch nicht hier. Also, warum wurden Sie in die Sache eingeschaltet?« Sein Blick war scharf und forschend, sein Auftritt leidenschaftlich; Dance konnte sich gut vorstellen, wie ermüdend es sein dürfte, längere Zeit in seiner Gegenwart zu verbringen.
    »Ich bin nicht sicher, worauf Sie abzielen.«
    »Sind Sie denn nicht wegen Arnie Brubaker hier?«
    »Nein. Wer ist das?«
    »Er ist der Mann, der unseren Küstenabschnitt zerstören will, indem er diese Entsalzungsanlage baut.«
    Sie erinnerte sich an die Postings im Chilton Report, die sich kritisch zu dem Projekt geäußert hatten. Und an den Autoaufkleber.
    »Nein, mein Besuch hat nichts damit zu tun.«
    Chilton runzelte die Stirn. »Er würde mich liebend gern mundtot machen. Ich dachte, er hat sich womöglich irgendeine Strafanzeige aus den Fingern gesaugt. Aber bitte verzeihen Sie. Ich habe eine voreilige Vermutung angestellt.« Die Abwehrhaltung schwand aus seiner Miene. »Es ist nur, na ja, dieser Brubaker ist wirklich ein... unangenehmer Zeitgenosse.«
    Dance fragte sich, welches Attribut er in diesem Moment eigentlich im Sinn gehabt hatte.
    »Entschuldigung.« Patrizia kam herein, brachte ihrem Mann eine frische Tasse Tee und fragte Dance, ob sie auch ihr etwas zu trinken anbieten dürfe. Sie lächelte zwar, aber ihr Blick war immer noch misstrauisch.
    »Nein, vielen Dank.«
    Chilton wies auf den Tee und bedankte sich mit einem charmanten Zwinkern bei seiner Frau. Sie ging und schloss die Tür hinter sich.
    »Also, was kann ich für Sie tun?«
    »Es geht um Ihr Blog über die Kreuze am Straßenrand.«
    »Ach, der Autounfall?« Er nahm Dance genau in Augenschein.

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