Allwissend
Steve?«
»Denen geht's auch gut«, sagte der Junge.
»Die Zwillinge und ich haben einen Berg aus Kissen gebaut«, sagte Maggie. »Mit Höhlen.«
»Das musst du mir aber genauer erzählen.«
Dance sah, dass sie einen Besucher hatten. Edies Verteidiger, George Sheedy, stand auf und trat vor, gab Dance die Hand und wünschte ihr mit tiefer Bassstimme einen guten Abend. Auf dem Couchtisch bei der Sitzgruppe des kleinen Hauses lag ein offener Aktenkoffer, außerdem gelbe Notizblöcke und ein schiefer Stapel Computerausdrucke. Der Anwalt begrüßte auch die Kinder. Er war freundlich, aber aus seiner Haltung und Miene ging für Dance sofort hervor, dass das Gespräch, das sie unterbrochen hatte, ein schwieriges gewesen war. Wes beäugte den Anwalt misstrauisch.
Nachdem Edie den Kindern Süßigkeiten gegeben hatte, wollten sie hinaus zu einem nahen Spielplatz.
»Bleib bei deiner Schwester«, wies Dance ihren Sohn an.
»Okay. Komm mit«, sagte er zu Maggie. Sie nahmen ihre Saftkartons und Kekse und machten sich auf den Weg. Dance schaute aus dem Fenster. Der Spielplatz war von hier aus zu sehen und der Pool durch ein verschlossenes Tor davon getrennt. Bei Kindern konnte man nie vorsichtig genug sein.
Edie und Stuart setzten sich wieder auf die Couch. Auf einem niedrigen Beistelltisch standen drei fast volle Tassen Kaffee. Kathryns Mutter hatte ihn bei Sheedys Eintreffen ganz automatisch zubereitet.
Der Anwalt erkundigte sich nach Dances Fall und der Fahndung nach Travis Brigham.
Dance gab nur knappe Antworten - und viel mehr wusste sie auch tatsächlich nicht.
»Und dieses Mädchen, Kelley Morgan?«
»Offenbar noch immer bewusstlos.«
Stuart schüttelte den Kopf.
Damit war der Kreuz-Fall vorläufig abgehandelt. Sheedy zog eine Augenbraue hoch und sah Edie und Stuart fragend an.
»Fahren Sie ruhig fort«, sagte Kathryns Vater. »Sie können ihr alles erzählen.«
»Wir versuchen uns auszurechnen, wie Harpers Schlachtplan aussehen wird«, erklärte Sheedy. »Der Mann ist sehr konservativ, sehr religiös und als Gegner des Gesetzes zur aktiven Sterbehilfe bekannt.«
Dieser Gesetzesvorschlag wurde in Kalifornien immer mal wieder diskutiert; er orientierte sich an einem in Oregon bestehenden Gesetz und würde Ärzten gestatten, Patienten dabei behilflich zu sein, ihr Leben zu beenden. Es handelte sich - ebenso wie bei der Frage nach dem Recht auf Abtreibung - um ein überaus umstrittenes Thema, bei dem die Befürworter und Gegner einander weitgehend unversöhnlich gegenüberstanden. Zurzeit galt es in Kalifornien als Verbrechen, einem anderen Menschen den Freitod zu ermöglichen.
»Daher will er an Edie ein Exempel statuieren. Es geht bei diesem Fall nicht um Beihilfe zur Selbsttötung - ihre Mutter sagt, Juan sei zu schwer verletzt gewesen, um sich das Mittel selbst zu verabreichen. Doch Harper will keinen Zweifel daran lassen, dass der Staat jeden streng bestraft, der einem anderen zum Selbstmord verhilft. Und damit natürlich auch übermitteln: Sprecht euch nicht für dieses Gesetz aus, denn die Staatsanwälte werden sich jeden Fall ganz genau ansehen. Ein einziger kleiner Verstoß, und die Ärzte oder sonstigen Helfer werden mit aller Härte strafrechtlich verfolgt.«
Er sah Dance an. »Das heißt, er ist an keiner Verfahrensabsprache interessiert. Er will vor Gericht gehen und einen großen, spektakulären, medienwirksamen Prozess abliefern. Und da Juan ohne eigene Mitwirkung getötet wurde, geht es um Mord.«
»Und zwar ersten Grades«, sagte Dance. Sie kannte das Strafgesetzbuch wie ihre Westentasche.
Sheedy nickte. »Weil die Tat vorsätzlich verübt wurde und Miliar Polizeibeamter war.«
»Doch ohne besondere Schwere der Schuld«, sagte Dance und musterte das bleiche Gesicht ihrer Mutter. Eine besondere Schwere der Schuld konnte die Todesstrafe nach sich ziehen. Aber dazu hätte Miliar sich zum Zeitpunkt seiner Ermordung im Dienst befinden müssen.
»Ob Sie's glauben oder nicht, er zieht es in Erwägung«, sagte Sheedy spöttisch.
»Was? Aber wie ist das möglich?«, fragte Dance erschrocken.
»Weil Miliar seine Schicht offiziell nie beendet hat.«
»Er will auf einer solchen Spitzfindigkeit herumreiten?« Dance verzog angewidert das Gesicht.
»Ist dieser Harper denn verrückt?«, murmelte Stuart.
»Nein, er fühlt sich von einer höheren Macht beseelt, und er ist selbstgerecht. Was ich beängstigender finde, als verrückt zu sein. Je schwerer das Verbrechen, desto aufsehenerregender der Fall.
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