Allwissend
schon darum gebeten.«
»Ach, wirklich?«, fragte Overby.
»Und wie hat er reagiert?«
»Er hat es strikt abgelehnt und sich auf die Pressefreiheit berufen.«
Royce schnaubte verächtlich. »Es ist bloß ein Blog, nicht der Chronicle oder das Wall Street Journal.«
»Das sieht er anders«, sagte Dance. »Hat jemand aus dem Büro des AG sich mit ihm in Verbindung gesetzt?«
»Nein. Wir fürchten, er würde es publik machen, falls die Bitte aus Sacramento käme. Und dann würden die Zeitungen und Fernsehsender das Thema aufgreifen. Unterdrückung. Zensur. Das könnte letztlich sogar auf den Gouverneur und manche Kongressmitglieder abfärben. Nein, so geht das nicht.«
»Tja, er hat sich geweigert«, wiederholte Dance.
»Ich frage mich nur gerade«, setzte Royce langsam an und ließ Dance dabei nicht aus den Augen, »ob Sie eventuell etwas über ihn herausgefunden haben, das ihn umstimmen könnte.«
»Zuckerbrot oder Peitsche?«, fragte sie.
Royce musste unwillkürlich lachen. Schlagfertige Leute imponierten ihm offenbar. »Nach allem, was Sie mir erzählt haben, scheint er kein Zuckerbrot zu mögen.«
Womit er meinte, dass eine Bestechung nicht funktionieren würde. Dance hatte es mit einer versucht und wusste, dass Royce recht hatte. Doch anscheinend ließ Chilton sich auch nicht einschüchtern. Ganz im Gegenteil, er suchte die Konfrontation. Und falls man ihm drohte, würde er in seinem Blog darüber schreiben.
Davon abgesehen hatte Dance kein gutes Gefühl bei der Vorstellung, die Erkenntnisse aus einer Ermittlung zu benutzen, um jemanden mundtot zu machen, auch wenn sie Chilton nicht mochte und ihn für arrogant und selbstgerecht hielt. Wie dem auch sei, ihre ehrliche Auskunft lautete: »Ich habe nicht das Geringste gegen ihn in der Hand. Aber James Chilton ist nur ein kleiner Teil des Falls. Er selbst hat gar nichts über den Jungen geschrieben und sogar Travis' Namen aus den anderen Postings gelöscht. Sein Artikel am Anfang des Threads >Kreuze am Straßenrand< zielte darauf ab, die Polizei und die Verkehrsbehörde zu kritisieren. Die Leser haben von sich aus angefangen, den Jungen zu attackieren.«
»Es gibt also nichts Belastendes. Nichts, von dem wir Gebrauch machen könnten.«
Gebrauch machen. Seltsame Wortwahl.
»Nein.«
»Ah, zu schade.« Royce wirkte aufrichtig enttäuscht. Overby bemerkte es ebenfalls und blickte sogleich selbst enttäuscht drein.
»Bleiben Sie an Chilton dran, Kathryn«, sagte Overby.
»Wir arbeiten mit Hochdruck daran, den Täter zu finden, Charles«, erinnerte sie ihn pikiert.
»Natürlich. Sicher. Aber wenn man den Fall in seiner Gesamtheit betrachtet, dann...« Seine Stimme erstarb.
»Was dann?«, fragte sie schroff. Die Wut über Robert Harper machte sich wieder bemerkbar.
Vorsicht, ermahnte sie sich.
Overby verzog das Gesicht auf eine Weise, die kaum mehr wie ein Lächeln aussah. »Wenn man den Fall in seiner Gesamtheit betrachtet, wäre es für alle hilfreich, wenn Chilton überzeugt werden könnte, sein Blog einzustellen. Hilfreich für uns und für Sacramento. Ganz zu schweigen von den Postern, deren Leben gerettet würden.«
»Genau«, sagte Royce. »Wir befürchten weitere Opfer.«
Selbstverständlich machten der Generalstaatsanwalt und Royce sich deswegen Sorgen. Doch sie fürchteten auch die Vorwürfe der Medien, der Staat tue zu wenig, um den Killer aufzuhalten.
Um das Treffen zu beenden und wieder an die Arbeit gehen zu können, erklärte Dance sich kurzerhand einverstanden. »Falls mir etwas auffällt, womit Sie etwas anfangen könnten, gebe ich Ihnen Bescheid, Charles.«
Royces Augen flackerten auf. Overby entging die Ironie völlig. Er lächelte. »Gut.«
In dem Moment erhielt Dance eine SMS. Ihr Telefon vibrierte. Sie las die Nachricht, keuchte leise auf und sah Overby an.
»Was ist?«, fragte Royce.
»James Chilton wurde angegriffen«, sagte Dance. »Ich muss los.«
Kapitel 21
Dance eilte in die Notaufnahme des Monterey Bay Hospital.
Sie traf den besorgt dreinblickenden TJ mitten in der Lobby an. »Boss«, sagte er und atmete vernehmlich aus. Er war erleichtert, sie zu sehen.
»Wie geht es ihm?«
»Er wird wieder.«
»Hast du Travis erwischt?«
»Das war nicht der Junge«, sagte TJ.
Im selben Moment schwang die Doppeltür zu den Behandlungsräumen auf, und James Chilton kam mit verbundener Wange zum Vorschein. »Er hat mich überfallen!« Chilton zeigte mit ausgestrecktem Arm auf einen rotgesichtigen, stämmigen Mann in Anzug
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