Alma Mater
weit weg.«
»Du darfst mich nicht verlassen. Ich hab dich gerade erst gefunden.«
»Ich würde dich nicht verlassen. Ich würde das College verlassen. Ich brauche einen Job. Muß Geld verdienen.«
»Steht’s so schlimm?«
»Es steht nicht gut.« Vic lächelte matt.
»Es schadet nie, einen Abschluß zu haben«, sagte Chris weise.
»Schon möglich.« Vic roch den Duft der Rosen, die eine aufregende rosa Farbe hatten. »Und ich geh wirklich gern aufs William and Mary College. Ich hätte nichts gegen ein gerahmtes Abschlußzeugnis vom selben College, auf dem Thomas Jefferson war.«
Chris stellte die Rosen auf den Tisch. »Soll ich die Astern ins Schlafzimmer bringen, was meinst du?«
»Ja, gut.« Vic folgte ihr. Chris stellte die blaue Vase mit den Astern mitten auf die Kommode. Als sie sich umdrehte, legte Vic ihre Hände auf Chris’ Schultern, beugte sich vor und küßte sie.
Chris schlang die Arme um Vics Taille. Im Nu waren sie aus den Kleidern und im Bett. Sie konnten nicht genug von einander bekommen. Als die Abenddämmerung hereinbrach, gewann der Hunger die Oberhand, und sie gingen in die Küche, Sandwiches essen. Chris trug Vics Morgenrock. Vic hatte sich ein Handtuch um die Hüfte gebunden.
Nach dem Essen gingen sie wieder ins Bett, lehnten sich an die Kissen, lehnten sich aneinander, sahen die Sterne aufgehen, als der letzte Rest der langen Septemberdämmerung schwand.
»Chris, hast du schon mal mit Frauen geschlafen?«
»Würde das etwas ändern?«
»Du meinst, ob ich eifersüchtig wäre oder mir wie eine Nummer vorkäme? Glaub ich nicht, ich wollt’s halt nur wissen.«
»Auf der Highschool. Ich hatte eine Freundin, und wir haben rumgefummelt. Aber wir haben auch mit den Jungs rumgefummelt. Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, ich könnte lesbisch sein, verstehst du?« Chris legte den Kopf an Vics Brüste; sie lag zwischen Vics Beinen. »Und du?«
»Nein. Auf die Idee bin ich nie gekommen.«
»Komisch.«
»Wieso?«
»Weil ich dich auf den ersten Blick für lesbisch gehalten habe. Ich dachte, du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe, und ich war ganz aufgeregt, weil du lesbisch warst.«
»Soll das ein Kompliment sein?«
Chris’ Lachen war hell, perlend. »Ich meinte nicht, daß du durch und durch andersrum bist, aber du bist muskulös und groß und, ich weiß nicht, irgendwie selbstständig oder so. Jetzt ist vielleicht der falsche Moment, es zu sagen, aber bei mir war es Liebe auf den ersten Blick.«
Vic platzte heraus: »Bei mir auch.«
Als sie schweigend da lagen, maunzte in der Nähe eine Katze.
Chris sagte: »Es wundert mich, daß du keine Katze oder keinen Hund hast.«
»Ich hab Piper. Ich hätte gern eine Katze, aber nicht, solange ich noch studiere. Ich möchte ein Tier nicht allein zu Hause lassen müssen.« Sie legte die Hände unter Chris’ Achseln und drückte sie hoch. »Sekunde.« Sie wand sich unter ihr hervor und setzte sich ihr dann so gegenüber, daß sie ihr ins Gesicht sah. »Ich hab dein Gesicht vermißt. Wenn ich eine Weile zu Hause arbeiten und wohnen würde, um Geld zu sparen, dann wäre die Katze nicht einsam.«
»Könntest du in Surry Crossing leben?«
»Ich dachte, vielleicht überlassen Mom und Dad mir ein Stückchen Land. Da könnte ich dann ein Häuschen bauen. Aber ich weiß, was Mutter sagen würde: ›So ein Blödsinn. Ich allein in diesem Riesenkasten. Früher haben vierzehn, zwanzig Personen in so einem Haus gewohnt, plus Dienstboten.‹« Vic ahmte ihre Mutter gekonnt nach.
»Deine Mutter ist die zweitschönste Frau, die ich je gesehen habe.«
»Werde ich deine Mutter mal kennen lernen?«
»Vic, ich denke schon, aber…« Chris hielt inne. »Ich kann meine Hände nicht von dir lassen. Bei deinem Anblick dreht sich mir alles, ich fühle sämtliche kitschigen Liebeslieder in mir, die ich je gehört habe. Wenn ich dich mit nach Hause nähme, würde meine Mutter im Nu über uns Bescheid wissen. Sie wäre nicht erfreut.«
»Erwartet man von dir, daß du eine gute Partie machst?«
»Erwartet man das nicht von jeder Frau?«
Vic schwieg einen Moment, dann fragte sie schließlich: »Weißt du schon, was du später mal werden willst?«
Chris legte ihre Beine über Vics. »Ja und nein. Ich will nicht arm sein. Meine Eltern haben mich in dieser Hinsicht vielleicht zu sehr verwöhnt, aber ich will Geld haben. Genug, um zu tun, was
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