Alma Mater
fuhr mit seinen Eltern nach Hause, weil sie ihre Thanksgiving-Feier noch vor sich hatten.
Freudige Erwartung umstrahlte sie allesamt. Bunny lächelte unentwegt. Die Harrisons machten viel Aufhebens um Vic. Wenngleich es nicht ausgesprochen wurde, wußten alle, daß Charly bald die gewisse Frage stellen würde.
Die Einzige, die sich nicht von der Erwartung anstecken ließ, war Vic. Sogar Chris war von ihr ergriffen – allerdings mit Bangen. Was, wenn Vic es sich anders überlegte?
Als in dieser Nacht alles schlief, hielten Vic und Chris sich eng umschlungen. Auf dem Nachttisch lag ein kleiner Stapel Zettel von Mignon.
»Vic, bist du sicher, daß du nein sagen kannst?«
»Hmm?« Vic liebkoste Chris’ Hals.
»Es wird schwer sein, Charlys Heiratsantrag abzulehnen.«
»Nein. Es wird schwer sein, ihm weh zu tun, aber ich kann nicht lügen. Ich kann’s einfach nicht.«
»Du klingst so sicher.«
»Chris, hab keine Angst. Ich schaff das schon. Nicht daß ich mich drauf freue, aber ich werde nicht kneifen. Ich liebe dich.«
Ein bißchen erleichtert küßte Chris Vic auf die Wange. »Weißt du, ich habe nie daran gedacht, mit einer Frau zusammenzuleben. Ich weiß ja nicht, was mich erwartet. Ich weiß wohl, daß die Menschen verstört sein werden, aber wissen und spüren ist zweierlei.« Sie hielt inne. »Ich vermute, wir werden herausfinden, wer unsere Freunde sind.«
»Homo sein ist ein Segen. Man sondert den Schrott zeitig aus.« Sie küßte sie wieder. »Ich schlaf jetzt. Um halb sechs wach ich auf und geh in mein Zimmer.«
»Ich weiß nicht, wie du das kannst.«
»Ganz einfach. Als Letztes vorm Einschlafen sagst du dir, wann du aufwachen willst, und dann tust du’s.«
Und sie wachte auf. Chris schlief fest, als Vic am nächsten Morgen auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schlich. Sie bemerkte, daß wieder ein Zettel unter der Tür durchgeschoben worden war und wollte ihn schon ignorieren, als sie in dem trüben Licht sah, daß ihr Name außen draufstand.
Sie hob ihn auf und steckte ihn in die Tasche ihres Morgenrocks. In ihrem Zimmer angekommen, knipste sie die Nachttischlampe an.
Auf dem Zettel stand: Ich weiß, daß du da drin bist. Als Mignon am Morgen um halb acht die Tür zum Flur öffnete, packte sie eine kräftige Hand an der Schulter.
»Los komm. Wir machen einen Spaziergang«, befahl Vic.
»Wohin?« Mignon versuchte ängstlich, sich ihrer Schwester zu entwinden.
»Zum Briefkasten und zurück oder vielleicht auch bis Richmond.«
»Ist bestimmt kalt draußen.«
»Dafür haben wir Jacken.« Vic bugsierte sie zum Fuß der Treppe, durch den breiten Mittelflur zur Kammer hinter der Küche. Sie warf Mignon eine Jacke zu und schnappte sich auch eine.
Als sie aus der Tür waren – Piper trottete mit ihnen durch den leichten Nebel –, quengelte Mignon: »Wir dürfen nicht zu spät zum Frühstück kommen. Mom flippt sonst aus.«
»Sie kriegt sich auch wieder ein. So, Mignon, raus mit der Sprache, was soll das alles?«
»Was soll was?«
Vic gab ihr den Zettel. »Fang hiermit an.«
Der Austernsplitt knirschte unter ihren Schuhen. Mignon warf einen Blick auf den Zettel und steckte ihn dann in ihre kariert gefütterte Allwetterjacke. »Nichts.«
»So leicht kommst du mir nicht davon.«
»Ist mir doch egal, was du machst.«
»Na klar, und drum hast du den Zettel unter die Tür geschoben, Mignon. Machen wir’s kurz. Sag mir, was du denkst.«
Eine aufgeschreckte Wachtel flog aus einer Hecke, ein paar kehlige Laute zeugten von ihrem Mißmut.
Mignon trat mit der Schuhspitze nach einem Steinchen. »Ich denke nicht, daß du dich mit Chris über Astrophysik unterhältst.«
»Getroffen. Schieß weiter.«
»Also… es ist mir egal.« Sie zog gleichmütig die Schultern hoch. »Ist mir egal, was du tust.«
»Hör mal, du willst wissen, was ich tue, du willst wissen, warum ich es tue. Du bist die typische freche, gemeine, mistige, naseweise kleine Schwester.« Sie sagte es liebevoll.
»Willst du hören, was du bist?«
»Abartig. Wolltest du das sagen? Tu dir nur keinen Zwang an.«
Mignon machte ein beleidigtes Gesicht. »Nein, das wollte ich nicht sagen. Das würde ich nie sagen. Ist mir doch egal, ob du abartig bist. Ist nicht grade ein nettes Wort, oder?«
»Keine Ahnung. Ich habe nicht viel über die Worte nachgedacht.«
»Und, bist du’s?«
»Ja.«
»Immer?«
»Ich
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