Almas Baby
dieses Falles verschlossen. Die ursprünglich vorhandenen Spuren auf dem Bettlaken waren nicht sorgfältig genug aufbewahrt worden, um noch auswertbar zu sein. Der Prozess trat auf der Stelle, denn inzwischen hatte eine Wissenschaftlerin des Landeskriminalamtes, die in Fachkreisen als Päpstin der Spurenkunde galt, das Fasergutachten ihres Münsteraner Kollegen, auf das sich alle Hoffnungen der Ermittler gestützt hatten, quasi in der Luft zerrissen. Es sei in den Rückschlüssen fehlerhaft und insgesamt unwissenschaftlich. Der Student wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, aber der Prozess ging weiter, wenn auch ein Freispruch bereits zum Greifen nahe schien. Und dann der Clou: Der Schwurgerichtsvorsitzende hatte in einem Magazin etwas über eine neue wissenschaftliche Methode gelesen, mit der am Citus-Institut in San Francisco ein Verfahren entwickelt worden sei, das auch noch uralte Spuren zur Erstellung eines genetischen Fingerabdrucks verwendbar machte: die sogenannte Gen-Amplification.“
„Wir sprachen damals von der wunderbaren Genvermehrung und setzten unsere ganze Hoffnung auf das alte Bettlaken, das durch Vermittlung von Scotland Yard von Dortmund nach San Francisco geschickt worden war,“ warf Charly ein.
„Und dann das wahre Wunder“, fuhr Zarah fort. „Das Ergebnis der Untersuchung: Der Student wurde als Spurenleger ausgeschlossen - und natürlich freigesprochen. Damit war auch erstmals in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik ein Angeklagter mithilfe des genetischen Fingerabdrucks vom Verdacht der Täterschaft entlastet worden.“
Volker Lauer schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf: „Kaum zu glauben. Das ist ja gerade erst mal zwei Jahrzehnte her und heute, wo die Bevölkerung ganzer Landstriche immer mal wieder zu Fahndungszwecken zur Abgabe von Speicheltests aufgefordert werden, gehört das praktisch zum kriminalistischen Alltag.“
„Da kannst du sehen, wie gut wir es inzwischen haben, und es kann nur immer besser werden mit der modernen Wissenschaft“, flachste Hammer-Charly und quälte sich nun endgültig für die nächsten zwölf Stunden aus seinem Schreibtischsessel. Waren es überhaupt noch zwölf? „Schluss für heute. Mein Bett ruft.“
Zarah legte ihrem alten Freund und Weggefährten zum Abschied die Hand auf die Schulter. „Na siehst du, es kommt meistens anders als man denkt, Charly,“ sagte sie tröstend, „bisher sind doch alle Fälle dieser Art von Kindesentziehung noch gut ausgegangen.“
Im Hinausgehen traf sie Volker Lauer vor dem Fahrstuhl. „Tut mir leid, wenn ich Sie mit meiner Märchenstunde irritiert habe“, sagte sie.
„Nein, nein. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen,“ antwortete der Vize. „Unsere Nerven liegen wohl blank. Schauen Sie, das ist schließlich eine besondere Situation, bei der uns die Zeit noch mehr als gewöhnlich auf den Nägeln brennt. Man hat das Gefühl, dass wir mit jeder noch so kleinen Verzögerung das Leben des Babys aufs Spiel setzen. Das macht uns so ungeduldig - und wohl auch unleidlich.“
Zarah lächelte, als sie in die Fahrstuhlkabine einstiegen: „Man kann nie sicher sein, aber ich glaube nicht, dass das Leben des Babys ernsthaft in Gefahr ist. Alma - wenn sie denn unsere gesuchte Ersatzmutter von eigenen Gnaden ist - scheint mir eine besonders zielstrebige Persönlichkeit zu sein. Und ihr Ziel ist es nun einmal, dieses Kind für sich zu gewinnen. Koste es, was es wolle.“
„Gewinnen. Das klingt, als sei diese Entführung für Alma ein bloßes Spiel,“ befürchtete Lauer.
„Nein, das ist es sicher nicht. Die Mutterschaft ist für sie offenbar eine existenzielle Frage. Schließlich ist es ihr von klein auf so eingebläut worden. Sie hasst ihren Vater, aber das, was er ihr fürs Leben mitgegeben hat - auf welche fragwürdige Art auch immer - ist nun mal ihre Sozialisation. Sie mag ihr Handeln für falsch halten, aber sie ist nicht in der Lage, nach dieser Einsicht zu handeln.“
Dr. Silbermann und Volker Lauer hatten das Erdgeschoss erreicht und gingen an der Pförtnerloge vorbei auf den Parkplatz. „Kann ich Sie zu Ihrem Wagen begleiten?“, fragte Lauer die Psychiaterin. Zarah zögerte einen Moment, bevor sie sich einen Ruck gab und antwortete: „Wenn Sie es Charly nicht verraten, mache ich Ihnen ein Geständnis. Ich bin mit dem Taxi gekommen.“
„Und das darf Charly nicht wissen?“, fragte Lauer konsterniert.
„Nein, darf er nicht. Da er mich nur als begeisterte Autofahrerin kennt,
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