Alpendoener
würde es weiter probieren, bis der
Tag vorbei war. Er spürte, dass die Frau nicht aus Granit gebaut war und er
wollte spüren, woraus sie tatsächlich gebaut war.
*
Über den ersten Eindruck konnte Birne Seiten
füllen, weil er einer war, der sich an der Platte immer wieder verbrannt hatte,
es immer wieder versucht hatte, seinen Vorurteilen nicht zu glauben und dann so
bitter enttäuscht wurde. So oft. Birne verstand was vom ersten Eindruck, wie
wichtig er war, dass man ihm traute, auch wenn es nach einer Weile oder
zwischendrin mal anders aussehen konnte: Der erste Eindruck ist wichtig. Hatte
Birne gelernt, so oft und bitterlich.
Menschen verändern sich, freilich, manchmal ist einer auch
wirklich besser, als man gedacht hätte, als man ihn zum ersten Mal eine
Zigarette hat anzünden sehen, aber wenn man einen von Anfang an abgrundtief
hasst und nicht nur, weil er einen an jemanden erinnert, der ihm die erste oder
zweite Freundin ausgespannt hatte, dann ist da was dran.
Birne hatte sich Gedanken über das neue Leben gemacht, hatte
sich gedacht, dass es inkonsequent wäre, wenn man schon ein neues Leben
anfinge, nicht auch Dinge anzurühren, in deren Nähe man sich im alten Leben gar
nie gesehen hätte.
Birne hatte beschlossen, ein Fitnessstudio zu besuchen. Das
machte man hier so, keiner fand was dabei; Freunde hatte er hier, so gesehen
und beim besten Willen, noch keine, also konnte man es darauf ankommen lassen.
Der Spaß war nicht billig, und Birne war schon dagegen, dafür so viel zu
zahlen, das hätte er mit echter Körperarbeit um einiges billiger haben können,
aber ranlangen – apropos – ließ ihn ja niemand. Das war, wenn man streng
hinschaute, auch der Grund, warum er hier war – in der Stadt und auch in dem
verfluchten Studio.
Die waren alle viel schöner, als er sein wollte, alle hier nicht
zum ersten Mal und Birne musste sich daran erinnern, dass er gezahlt hatte, wie
sie alle, um hier sein zu dürfen, und deshalb auch ein Recht hatte, auch wenn
er nicht so schön war. Außerdem: Was heißt schön?
Der Tag war dumm gelaufen, er hatte praktisch bei seinem Chef
verschissen. Birne hatte früh am Morgen sein Haus verlassen, um zu schießen. Er
war, ohne zu schießen, in sein Büro gegangen, hatte einen gewöhnlichen Tag
verlebt und ihn mit einer Katastrophe abgeschlossen. Vollsaufen wäre konsequent
und für jedermann nachvollziehbar gewesen. Birne wäre am nächsten Tag, nach
Hustenbonbon und Jägermeister riechend, einen Tropfen zu spät erschienen, hätte
damit seinen Kredit vollends verzockt, wäre geflogen, hätte das neue Leben nach
einer Woche abgebrochen, wieder ein neues angefangen, hätte sich kurz gefragt,
ob das den Rest jetzt so weiterginge, dass man mehr anfängt als führt. Und so
weiter.
»Das musst du nicht so ernst nehmen«, hatte Werner gesagt,
als sie draußen waren.
»Ist der immer so?«
»Eigentlich nicht.«
Werner meinte es ehrlich gut mit ihm. Birne spürte das, Birne
war so etwas auch wichtiger als der Job und die Karriere, die konnte er immer
noch machen, aber zwischenmenschlich musste es passen, sonst ging einem da oben
irgendwann die Luft aus und es würde dich zusammenhauen und runterziehen.
»Ich hab mir gedacht, ich bring ihm morgen Ferrero Rocher mit
und entschuldige mich in aller Form.«
»Der alte Sekretärinnen-Umwickler .
Der Mann versteht was von den Menschen. Gute Idee.«
Birne hätte gerne gewusst, wie ernst Werner das meinte, hatte
sich aber nicht zu fragen getraut. Sie waren nach wenigen Metern getrennte
Heimwege gegangen. Birne war gar nicht so schlechter Laune, wie er gedacht
hatte. Er hatte sich aus dem Supermarkt ein Weizen mitgenommen und, nachdem das
weg war, beschlossen, es mit dem Studio zu versuchen.
Birne hatte gedacht: Nichts. So billig bin ich nimmer, mach
nicht mehr, was am nächsten liegt, den Tag vollends versaufen, sondern erst,
was das dritte oder vierte ist, worauf einer jetzt gekommen wäre. Er hatte
seinen Geldbeutel gepackt und war los zum Studio, hatte den Preis für ein
Vierteljahr hingelegt, gerade um sich für die Schweinerei auf dem Anzug des
Chefs zu strafen: Wenn die nämlich Konsequenzen hätte, wären die Euro fürs
Studio auch für den Arsch. Innerlich hatte Birne also schon gebüßt. Wusste der
Chef natürlich nicht, mit dem Selbstbewusstsein konnte ihm Birne aber morgen
begegnen. Mit dem Selbstbewusstsein und vor allem ohne Alkohol im Geruch. Birne
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