Alpendoener
und er
wusste, dass er zu spät war. Ein Schmerzensschrei. Von Werner. Dann noch zwei
Schüsse. Die klangen anders. Werners Schreie wieder. Er artikulierte. Er war
noch nicht tot. Birne hastete vorwärts.
Um den Unterstand war es dunkel, er konnte niemanden
erkennen. Er warf sich dort hinein und fiel über Werner, der aufblökte.
»Au, du Rindvieh.«
»Werner, ich bin’s, Birne. Bruno muss schon da sein, irgendwo
in der Nähe. Geht es dir gut?«
»Ich weiß, er hat mich getroffen.«
»Getroffen? Um Gottes willen.«
»Passt schon. Ich komm durch, ich bin zähes Leder. Leck
mich.« So eine Art Lachen kam aus Werner.
»Wo hat er dich getroffen, Werner?«
»So Richtung Schulter, kann nicht sagen, wo genau, fühlt sich
alles pelzig an, wie bei einem Bär.«
Werner litt mehr, als er zugeben wollte. Birne konnte ihn
nicht wegbringen, weil irgendwo da draußen Bruno auf ihre nächste Bewegung
wartete. Das Feld wurde gespenstisch hell erleuchtet – das Nachtsichtlicht, das
in Deutschland verbotene. Er war noch da.
Ein weiteres Leuchten, ein weiterer Schuss, der
die Wand ihres Unterstandes, ihrer Deckung, glatt durchschlug und irgendwo tief
in Werner zum Stecken kam.
»Werner.« Birne schüttelte seinen Freund, es kam keine
Reaktion mehr. »Werner, Scheiße, Werner, hörst du mich?« Nichts. Birne suchte
ungeschickt nach der Halsschlagader, er fand nichts, das da schlug, und
fürchtete, dass es aus war mit Werner und ihrer Freundschaft. Er war nun ganz
allein da draußen, den Kugeln des eifersüchtigen Kommissars ausgesetzt. Birne
liefen Tränen über die Wangen, er trauerte nicht, er hatte furchtbare Angst. Er
wollte schreien und wusste doch, dass er das nicht durfte, um wenigstens den
Funken einer Chance zu wahren. Werner hatte von einem Revolver gesprochen, er
lag auch noch in seiner Hand – Birne verbrannte sich die Finger, als er auf den
heißen Lauf langte, aus dem Werner gerade noch vergeblich versucht hatte, sein
Leben zu verteidigen. Birne öffnete die tote Hand und holte sich die Waffe
heraus. Er hielt zum ersten Mal so eine Waffe und wusste nicht, ob sie
losginge, wenn er jetzt einfach am Abzug zog. Sein Leben hing daran.
Es gab kein Leuchten mehr und auch kein Geräusch. Ob die
Schüsse im Bauernhof gehört worden waren? Ob schon Polizei unterwegs war?
Hier konnte er nur warten, bis eine weitere Kugel seine
wehrlose Brust zerriss. Er musste hier weg. Birne spähte auf das dunkle Feld
hinaus und ließ sich, ohne nachzudenken, ins Freie fallen und rannte los, weg
vom Ort des Wernertodes. Das wurde bemerkt. Noch einmal leuchtete die Umgebung
grün, alles war sichtbar, alles war potenzielles Opfer. Birne schrie in Panik
und rannte und stürzte und sammelte sich wieder auf. Ein Krachen, ein Pfeifen,
ein Einschlagen in die kalte Erde keine 50 Zentimeter neben ihm. Birne blieb
stocksteif stehen. Rechnete er ab mit dem Leben? Hörte er auf zu hoffen? Birne
dreht sich um und blickte in die grüne Fläche, sah einen Punkt leuchten und
wusste, wo sein Gegner saß: Am Waldrand gegenüber, dort, wo sie einst Rehe
vermutet hatten. Birne hob seine Waffe – er hatte noch nie gezielt – und
richtete sie dorthin. Er zog ab und wurde zurückgeschmissen .
Seine Ohren peitschten, sein Puls hallodrierte , seine
Augen waren im Schreck geschlossen. Er öffnete sie und fand sich in absoluter
Dunkelheit wieder. Nichts rührte sich. Hatte er getroffen? Hatte er gesiegt und
sein Leben für heute gerettet?
Langsam kam ihm der Atem wieder. Eilig lief er in Richtung
seines Autos. Nichts behinderte ihn, es stand beinahe friedlich neben dem Hof.
Birne schloss auf und setzte sich hinein. Es dauerte zwei Minuten bis zu seinem
nächsten Entschluss: Er holte sein Handy heraus und wählte die Notruf-Nummer
110. Es klingelte einmal, da wurde seine Fahrertür aufgerissen, und Birne
blickte in den Lauf eines Jagdgewehrs.
»Aussteigen!«, brüllte Bruno.
Birne schaute nach vorne aus dem Wagen, bereit, hingerichtet
zu werden.
»Leg auf! Sofort!«
Am anderen Ende der Notrufnummer meldete sich eine Stimme.
Birne sagte nichts, die Stimme »Hallo?«
Birnes rechte Hand, die kein
Telefon ans Ohr hielt, war nicht in derselben Starre wie der Restkörper Birnes , sie bewegte sich unter dem Lenkrad, sie hielt eine
Pistole, die noch nicht leergeschossen war, und
richtete sich langsam, aber bestimmt und ohne von Bruno wahrgenommen zu werden
auf jenen. Sie drückte ab und feuerte auf den Mann mit
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