Alpengrollen: Kriminalroman
Herr Rose. Danke. Wie lange dauert es, bis Sie die Summe fertig abgezählt haben?«
»Nun, wenn Sie warten wollen, können Sie es gleich mitnehmen. Ich brauche ungefähr eine halbe Stunde, um es zu holen. Das hat aber hoffentlich nichts mit unsrer jungen Schalterbeamtin zu tun? Wir wissen, dass sie ein gewisses Problem im Umgang mit Kunden hat. Aber was soll ich machen? Sie ist die Tochter meines Chefs.« Herr Rose, der Annelieses kleine Ansprache am Schalter vorhin von seinem Platz aus mitbekommen hatte, rückte seine goldene Brille zurecht und fuhr sich verlegen über die akkurat geschnittenen, kurzen Haare.
»Hat es nicht«, versicherte ihm Anneliese knapp. »Obwohl ihr Benehmen durchaus beanstandungswürdig ist. Und jetzt wäre ich sehr froh, wenn Sie …«
»Natürlich, Frau Rothmüller. Bitte warten Sie hier auf mich. Ich muss nur schnell runter in den Tresorraum.«
»Tun Sie das, Herr Rose. Danke schön. Und beeilen Sie sich.«
Nach einer dreiviertel Stunde war er mit dem Geld zurück. Anneliese, die schon wie auf Kohlen saß, packte es zügig in den schwarzen Aktenkoffer, den sie eigens dafür mitgebracht hatte, und verabschiedete sich schnell.
Es war kurz nach elf. Sie hatte noch eine Stunde Zeit, um den Hauptbahnhof zu erreichen. Das war mehr als genug. Gott sei Dank. Sie entschied sich dafür, zu Fuß zu gehen. Vielleicht würde das ihre flatternden Nerven etwas beruhigen. Obwohl ihr wirklich nicht ganz wohl dabei zumute war, mit so viel Geld im Gepäck. Einem Dieb dürfte sie heute nicht in die Arme laufen.
Sie nahm den Weg über das Sendlinger Tor und den Stachus. Bemerkte die Leute, die ihr dabei begegneten, vor lauter Aufregung nicht. Blieb flüchtig vor ein paar Schaufenstern stehen und gelangte schließlich auf den Bahnhofsvorplatz. Um kurz vor zwölf deponierte sie den Koffer in dem Schließfach mit der Nummer zehn und sperrte ab. Dann schlenderte sie unauffällig zu der aus Glas und Metall konstruierten, futuristisch anmutenden Würstchenbude bei den Gleisen hinüber, stellte sich neben den Mülleimer, warf den braunen Umschlag mit dem Schließfachschlüssel hinein und entfernte sich wieder. Kurz vor dem Ausgang versteckte sie sich hinter einem anderen Imbissstand und wartete gespannt darauf, was geschehen würde. Nach einer Weile beobachtete sie, wie jemand seinen Arm in den Mülleimer mit dem Schlüssel steckte. Als sie genauer hinsah, erstarrte sie. Alles hätte sie für möglich gehalten. Nur das nicht.
26
Max genoss die Piste auf dem Harschbichl bei St. Johann. Und es ging ihm dabei so, wie es ihm immer ging, wenn er auf der Piste war. Einfach nur gut. Ohne jedes Wenn und Aber. Sein Blutdruck war bestens. Er hatte das vorhin gleich noch einmal im Auto kontrolliert. Die Kopfschmerzen waren seit dem zweiten Glas von Marias Katertrunk wie weggeblasen, sein Magen grummelte nicht im Geringsten und sein Puls bewegte sich locker im Rahmen dessen, was die Weltgesundheitsorganisation vorgab. Was wollte er mehr? Laut singend sauste er über den griffigen Pulverschnee und war eins mit sich und der Welt. Der frisch präparierte Steilhang lud dazu ein, weite, elegante Riesentorlaufschwünge zu fahren und dabei immer mehr ins Carven zu kommen. Überhaupt diese Carver. Genial. Ihre Kanten schnitten sich wie Rasierklingen in den Untergrund. Man fuhr wie auf Schienen. Egal, wie eisig es war.
Als Kind hatte er noch auf Holzskiern angefangen zu lernen. Mit Kabelzugbindung. In Skistiefeln aus Leder, die man noch schnüren musste. Erst Jahre später hatten ihm die Eltern die ersten richtigen Rennski zu Weihnachten geschenkt. Und rote Plastikskistiefel mit Schnallenverschluss. Er wäre fast vor Stolz geplatzt, als er damit zum ersten Mal zum Training gekommen war. Alle hatten die neuen Sachen bewundert. Der Trainer hatte sogar gemeint, dass er mit so einer tollen Ausrüstung wohl bald nicht mehr zu schlagen sei.
Sein Handy musizierte in der Brusttasche. Er fuhr schnell an den Rand in den Tiefschnee und hob ab. Das musste Monika sein. Bestimmt hatte sie Franzi gefunden. Hoffentlich war alles in Ordnung mit ihm. »Moni? Bist du’s?«, brüllte er, noch ganz taub vom Fahrtwind, als müsste er über die Berge hinweg nach München hineinschreien.
»Ja, Max. Plärr nicht so.«
»Und?«
»Alles klar. Ich habe Franzi.«
»Gott sei Dank.« Er stieß erleichtert die Luft aus den Lungen.
»Aber er hat sauber eins auf den Kopf bekommen.« Jetzt klang sie nicht mehr ganz so zuversichtlich wie am
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