Alpenkasper
ich sie heute nicht mehr. Kann ich noch eins bekommen?«
»Es ist dann das letzte«, bestimmte die Ausschenkerin.
»Dann bekommt er auch noch eines.« Trimalchio zwinkerte Jakob zu. »Ich übernehme das für dich.« Zahlen durfte er gern und saufen auch. »Ich habe übermorgen einen harten Tag und überhaupt keinen Bock, vielleicht saufe ich mich krank. Da marschieren die Nazis, die allein wären noch gar nicht so schlimm, dazu kommen auch noch die Linken, die wollen auch Rabatz und dazwischen ich, immer ich, ich soll den Laden deeskalieren. Da gibt es in ganz Augsburg keinen anderen, der das kann. Komm zur Polizei, da ist was los. Ich rufe den Lugner an, den Doktor, der soll seine Jungs ruhig halten. Das machen wir.« Er zündete sich die nächste Zigarette an. »Willst du auch eine?«
Jakob lehnte ab. »Ich rauche nicht mehr.«
»Nie im Leben bist du der Bruder vom Birne, nie im Leben.«
»Was hast du da eben über den Doktor Lugner gesagt?«
Trimalchio schien einen Augenblick klar. »Wieso interessiert dich der Lugner?«
»Den kenn ich halt.«
»Woher kennst du den?«
»Von einer Party.«
»Wenn du den kennst, hast du bald Ärger, das prophezeie ich dir.«
»Warum?«
Trimalchio äffte. »Warum, warum, warum. Die Frau will, dass wir gehen, geh, komm mit, sonst musst du sie heute noch bedienen, und den Geschmack bringst du nicht mal aus dem Maul, wenn du das ganze Fass hier austrinkst.« Trimalchio kippte die beiden Biere auf einmal in sich. Er verzog das Gesicht und stieß bitter auf. »Sorry.« Er verschwand aufs Klo. Jakob drehte sich um. Die Restgäste starrten ihn an, er versuchte sie zu grüßen, bekam jedoch nichts zurück als grimmige Mienen. Im Eck saßen zwei mit Bomberjacke, ein kleiner Dicker und ein hagerer Großer. Sie hatten die eigenartigen Tätowierungen, die er von Clemens kannte. Sie tranken jetzt aus ihren Weizengläsern. Ihr Schaum war schon unappetitlich zusammengefallen.
Trimalchio kam vom Klo zurückgewankt.
Jakob begann: »Ich habe eine ganz heiße Spur, die zu meinem Bruder führt. Ich habe mich mit Heinz Horst unterhalten, kurz bevor der starb, und da war noch jemand in der Nähe, der wollte mich wegbringen, weil er mich für meinen Bruder gehalten hat.«
Trimalchio wurde kurz sehr ernst. »Versuche nicht, unsere Arbeit zu machen. Dieser Horst war ein Spinner. Sei froh, dass der keinen Stress mehr machen kann. Wir zahlen jetzt.«
Jakob gab Trinkgeld und besaß dann noch fünf Euro. Draußen vor der Tür versuchte Trimalchio, wesentlich besser gelaunt als eben im Trinkraum, Jakob zu überreden, in sein Taxi zu steigen und dorthin zu fahren, wo es wirklich noch was zu erleben gebe. Weil Jakob ablehnte, zweifelte Trimalchio erneut an Jakobs Bruderschaft mit Birne – »nie im Leben, nie im Leben« – und ließ abfahren.
Telefon
»Danke, Jakob, dass du anrufst. Prima Idee das, nur haben wir leider schon jemanden, aber geh da trotzdem mal hin. Du kannst uns so Splitter einfangen.«
»Was sind Splitter?«
»Halt so Eindrücke, so Stimmen, die man dann so um die Seite rum verteilt, macht bestimmt was her«, sagte Jakobs Redakteur.
»Wieviel willst du da?«
»Schau halt mal, was du zusammenbekommst. Wenn’s gut wird, dann können wir auch mehr haben. Und schau, dass du ein bisschen durchmischst, politisch und intellektuell.«
»Ich werde mir Mühe geben. Noch was: Ich vermisse, ehrlich gesagt, noch ein paar Euro für die letzten Aufträge. Weißt du da was?«
»Das Geld müsste längst raus sein.«
»Da ist nichts angekommen bis jetzt.«
»Das kann fast nicht sein. Da schau ich gleich nach. Du sollst ja auch von was leben. Wir hören uns. Ciao.«
Jakob frühstückte Butterkekse, die waren noch da und nicht zu lange offen rumgelegen. Das Konto war leer, sein Geldbeutel praktisch auch. Jakob konnte immer noch die Mülltonnen hinter den Nobelrestaurants durchwühlen. Es gab überhaupt nichts, das Anlass zur geringsten Sorge gab. Dr. Max Lugner hatte eine Homepage. Auf dem Bild sah er besser aus als auf der Herrentoilette, vertrauenerweckend. Man kann ihm das letzte Geld anvertrauen, er wird nichts Falsches machen damit. Max Lugner musste kein Arzt sein, auch wenn er als solcher praktizierte, er sah sich als »Heiler«, die Schmerzen und Krankheiten unserer Körper seien Chancen, ihre wahren Bedürfnisse kennenzulernen; allerdings nur wer ihre Sprache verstehe, könne richtig handeln. Lugner sei eine Art Dolmetscher Körper – Deutsch, Deutsch – Körper, Hunderte
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