Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alpenlust

Alpenlust

Titel: Alpenlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Spatz
Vom Netzwerk:
beinahe mein Bewusstsein, konnte aber noch sehen, wie sie auf den Kameraden einschlugen, dazu ›Nimm, Bulle!‹ riefen. Das Ganze dauerte nicht lange, wir sahen schlimmer aus als du jetzt, Blut war geflossen. Insgesamt keine wilde Sache, aber sehr demütigend, wir wollten das nicht erlebt haben und so nicht vor die Kollegen treten und wussten doch, dass wir es mussten. Wir fluchten.«
    »Und da habt ihr beschlossen, den Kerl umzulegen. Im Dienst?«
    »Langsam. Wir wollten ihm eine verpassen, wir waren motiviert, aber wollten es sauber haben. Wir mussten dem Jungen und der Welt um ihn zeigen, dass das hier nicht Palermo ist. Oder Moskau. Wir hatten eine Spur, das war unsere Lady. Wir traten fett an sie heran, wir machten ihr Angst. Das konnten wir. Sie ein bisschen grob anfassen. Das war zu grob, das ist mir heute zu viel, wir konnten unsere Kräfte und unsere Wirkung auf andere noch nicht richtig einschätzen – so wie du. Sie heulte uns voll, wir sahen uns betreten an und hatten schon begriffen, dass wir zu weit gegangen waren. Sie sagte Lagerhaus Lechhausen . Wir fuhren hin und uns wurde klar, dass sie uns nicht verraten hatte. Wir waren jung und wussten nicht mit solchen Situationen umzugehen, obwohl sie versucht hatten, es uns beizubringen. Vier Leute im Raum, junge Leute mit Aknenarbengesichtern, die Fernseher aus Kartons auspackten, viele Fernseher, eine Lastwagenladung Fernseher, wahrscheinlich eine geklaute Lastwagenladung. Wahrscheinlich die Jungs, die uns abgerieben hatten. Wir hatten keine Ahnung, wie wir reagieren sollten, wir waren mit Streifenwagen hingefahren, dorthin, wohin sie uns geschickt hatte. Wir waren ohne Vorsicht zur Vordertür reinmarschiert und ertappten die Jungs auf frischer Tat. Was machst du da? Sie schrien das Schreien der Erwischten, das Das-Spiel-ist-aus-Schreien , wir wandern jahrelang in den Knast und sind nicht mehr jung, wenn wir wieder draußen sind, aber unser Leben wird versaut sein. Das ist ein schreckliches Schreien, Birne. Schlimmer als Schlachthaus, Birne. Das fährt dir ins Mark, das lässt dich Dinge tun, die du nicht tun willst, wenn du das Schreien nicht hörst. Der Kameradkollege war fix an seiner Waffe, und fix waren die Schreier umgemäht, wie aus einem Schuss, es waren vier, es müssen vier Schüsse gewesen sein. Und dann lagen sie vor uns, und der Kollege hatte die Waffe immer noch in der Hand und schrie nicht, aber in seinem Gesicht stand es: Auch dieses Spiel, dieses Bullenspiel, ist aus. Sie waren in die Fernseher gefallen, Mattscheiben waren zerbrochen, und man konnte nicht sagen, woher das Blut kam. Von der Schusswunde oder von der Fernseherwunde. Ich sagte nichts, ich schaute mir das an fast wie einen Film. Ich wollte, dass das ein Film war, als Film wär’s nicht schlecht gewesen. Eine Feuerschutztür ging auf. Sie führte im normalen Leben in ein Büro. Ein Mann kam heraus, aufmerksam geworden durch den Lärm der Schüsse und der Schreie und der zerbrechenden Fernseher. Er wollte sehen, was da los war und für Ordnung sorgen. Es war ihr Neuer. Jetzt standen sich ihre drei letzten Männer zum ersten Mal im Leben gegenüber. Einer hatte eine Waffe in der Hand, war aber wie gelähmt, weil er gerade vier Männer erschossen hatte. Ein anderer holte eine Waffe aus seiner Lederjacke. Der dritte war ich. Ich dachte: Notwehr, das ist Notwehr, wenn ich jetzt schieße. Ich traf und war schneller. Keiner der Polizisten war verletzt, alle anderen waren tot. Von der Frau haben wir außerhalb des Gerichtssaals nie wieder was gehört. Ich denke, wir alle waren froh darüber. Das war die Geschichte meines ersten Toten.«
    »Und dein Kollege?«
    »Der ging freiwillig, die konnten ihn gar nicht suspendieren. Ich habe ein paar Mal versucht, ihn anzurufen, und nie erreicht. Einmal war eine Frau am Telefon und ich konnte hören, wie er im Hintergrund versuchte, sie dazu zu bringen, ihn zu verleugnen. Danach habe ich es nicht mehr probiert, hab ihn nie wiedergesehen, keine Ahnung, was aus ihm geworden ist.« Trimalchio wurde bei den letzten Sätzen schneller, das schlechte Gewissen plagte ihn bis heute.
    »Rauchst du eigentlich?«, fragte Trimalchio .
    »Manchmal.«
    »Gehst du schnell mit hinten raus?« Sie hatten jetzt im Revier ein unter vielen Protesten eingeführtes Rauchverbot in geschlossenen Räumen.
    Birne ging mit. Schöner, warmer Tag. Die schönen, warmen Tage schienen nie mehr zu Ende zu gehen.
    »Danke«, sagte Birne und nahm seinen ersten Zug. Der Rauch tat gut

Weitere Kostenlose Bücher