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Alpenlust

Alpenlust

Titel: Alpenlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Spatz
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eine Entscheidung auf Leben und Tod darstellt. So ein Schwachsinn.«
    »Viele haben gedacht, nach dem Zweiten Weltkrieg ginge es nur noch um Wohlfahrt. Wir kehren zurück zur Normalität. Willkommen im 21. Jahrhundert.«
    »Und deswegen filmen wir jeden Meter jedes Menschen. Wer soll sich das anschauen. Ich?«, empörte sich Tanja, die im Moment mehr Furcht vor Überstunden hatte als davor, von Islamisten in die Luft gejagt zu werden.
    Trimalchio maulte dagegen: »Bitte, du musstest in deiner Steuererklärung jeden Furz angeben, den du gelassen hast. Damit haben die dich doch genauso kontrolliert. Und du hast mitgemacht, damit ein paar Euro rauskommen am Ende, die sie dir spendieren, damit du dich freiwillig auf den Seziertisch legst. Jetzt hängen sie eine Kamera in die Luft und sagen, dass sie deinen Computer durchwühlen nach E-Mails mit Taliban im Betreff. Wenn das alles für nichts ist, wenn wir wirklich nicht bedroht werden, wer will dann diesen ganzen Quatsch wissen? Wem nützt es denn, zu wissen, was ich dir nachts um drei schreib, wenn ich gesoffen hab und ein bisschen mutiger bin als im Moment? Da hat doch keiner was davon. Oder schicken die mir dann Sexpuppen-Werbung ins Haus, damit du in ähnlichen Situationen nicht mehr angeschrieben wirst? Wer will was von uns? In der DDR habe ich es ja verstanden, da haben sich die anderen bereichert auf Kosten der durchleuchteten Bürger, das war wenigstens ein raffiniertes System. Aber wir, wir bereichern uns nur auf Kosten chinesischer Kinder, die Turnschuhe nähen, für die wir dann lediglich symbolische Anteile unseres Einkommens ausgeben müssen und dadurch immer reicher werden und mehr Geld für Schweinebraten haben. Aber um chinesische analphabetische Kinder aufs Kreuz zu legen, muss ich mir doch kein so kompliziertes Überwachungssystem einfallen lassen. Das sind nicht mal genug Arbeitsplätze, dass es der Rede wert wäre. Früher hatten sie«, stammtischte er weiter, »wenigstens noch den lieben Gott. Da hat der Pfarrer auf der Kanzel gesagt: Der liebe Gott sieht alles, und wenn du in Gedanken gerade deine Nachbarin ausziehst, dann sieht das Jesuskind das nicht gern und steckt dich 40 Jahre ins Fegefeuer, nur weil du einmal deine Nachbarin in der Kirche in Gedanken ausgezogen hast, während der Pfarrer auf der Kanzel von der Sünde gesprochen hat. Und dann ging der Klingelbeutel rum, dann konntest du was reintun, um deine schmutzigen Gedanken finanziell zu bereuen, und hoffen, dass das Jesuskind auch ein bisschen Gefallen dran hatte, an ihrem Busen, den du spirituell freigelegt hast für dich und die überirdischen Wesen um dich. Und der Pfarrer, wenn er seine Sache gut gemacht hatte, konnte Schweinebraten fressen. Aber heute? Wo geht heutzutage ein Klingelbeutel rum? Zeig ihn mir und ich bin sofort wieder Ministrant.«
    »Unserer Zeit mangelt es dafür an Fantasie. Es ist alles nur ein poetischer Versuch, in den Menschen die Fantasie wieder hervorzukitzeln, die sie seit der Erfindung des Farbfernsehens in ihrem Unterbewusstsein versteckt haben. Was ist, wenn die Kamera eine Attrappe ist? Oder: Fühlen wir uns beobachtet, auch wenn die Kamera abgestellt ist? Wann haben wir das Beobachtetsein so verinnerlicht, dass wir uns benehmen, als würden wir permanent beobachtet? Dann haben wir den fremden Blick verinnerlicht und können alle Kameras ausstellen. Außerdem reden die Menschen, seit es sie gibt, schlecht hinter dem Rücken anderer. Das gegenseitige Ausspionieren ist eine menschliche Natur. Ließen wir es sein, stürben wir aus. Hast du da ehrlich Lust darauf? Aussterben? Am Ende gar der Letzte deiner Art zu sein auf der immer verzweifelteren Suche nach einem Weibchen?«
    »Es ist ja heute ohnehin fast unmöglich, sich irgendwo aufzuhalten, ohne von einem Handy fotografiert zu werden. Wir werden ununterbrochen beobachtet«, sagte Trimalchio .
    »Viele Menschen ertragen es nicht, nur für sich zu sein. Deshalb muss der ganze Müll da drin rausgekotzt werden, sonst verursacht er Übelkeit und Magengeschwüre in deinem Inneren«, regte Tanja sich auf. »Schreib alles auf, fotografiere alles, was dir begegnet, denn sonst existiert es vielleicht nicht. Hast du es erlebt oder hast du es nur geträumt? Worte können so viel erzählen. Luft ist geduldig, die kannst du mit jedem Scheiß in Schwingung versetzen, die wird nie protestieren. Ohren schlagen nicht zurück, sie bluten auch nicht vom Hören. Menschen schlagen dir eine rein, sie tun es nur viel zu selten.

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