Alphawolf
sein. Niemand würde Notiz von ihr nehmen und Fragen stellen. Noch etwas hatte sich in ihrem Leben geändert, seit sie das Rudel kannte: Sie war gezwungen, zu einer notorischen Lügnerin zu werden. Dieser Umstand ließ sie erahnen, wie es den Werwölfen täglich erging. Ihr ganzes Leben musste sie auf Lügen aufbauen, um zu vertuschen, dass sie nicht wie die anderen Einwohner Anchorages waren.
Als sie das Wolf Museum betrat, stockte ihr der Atem. Was für ein Chaos! Ihr Herz blutete, denn der Ausstellungsraum sah aus, als hätte ein Tornado hindurchgefegt. Sie machte vorsichtig einen Schritt vor den anderen, aber es war kaum möglich, dem Glas der Vitrinen, das in tausend Stücke zerbrochen auf dem Boden lag, auszuweichen. Mit feuchten Augen ging Tala in die Knie und versuchte ein zerrissenes Foto, das einen Polarwolf zeigte, der auf einem schneebedeckten Felsen saß und stolz über eine Ebene schaute, wieder zusammenzufügen. Als sie getrockneten Urin daran bemerkte, warf sie die Schnipsel weg und wischte ihre Hände an der Jeans ab. Wer auch immer seine Aggression im Education Center abgelassen hatte, musste zum krönenden Schluss auch noch auf den Schutt gepinkelt haben, um ihn zu entweihen.
Tala setzte ihren Weg Richtung Ausgang fort. Der Souvenirshop gab ein genauso jämmerliches Bild ab. Alle Gegenstände waren von den Regalen gerissen und diese dann umgestürzt worden. Einzelne Stofftiere waren nur noch verkohlte Klumpen. Auch hier stank es nach Tierfäkalien.
Kopfschüttelnd ging sie weiter. Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie das sah, was von dem nachgebildeten Timberwolf übrig war, der neben der Anmeldung stand. Man hatte ihn regelrecht zerstört, zertrampelt und sein schwarzes Fell angeflämmt.
Claw stahl sich in ihre Gedanken.
Tala dreht sich weg. Der künstliche Wolfskopf lag hinter dem Empfang. Der ausgefranste Hals war deutlich zu sehen, er musste abgerissen und nicht abgeschlagen worden sein. Wer war in der Lage, so etwas zu tun? Jemand mit übermenschlichen Kräften. Jemand, der genügend Wut im Bauch hatte. Dante.
«He, wo zur Hölle kommen Sie denn her?» Der Mann schwang seinen Hammer. Als er merkte, wie bedrohlich das auf Tala wirken musste, steckte er ihn in seinen Werkzeuggürtel.
Entschuldigend zuckte sie mit den Achseln. «Ich möchte nur zurück in die Mall.»
«Da haben Sie aber verdammtes Glück gehabt.» Er fuhr mit der rechten Hand über seinen glänzenden Kahlkopf und wischte sich den Schweiß an seinem grün-blau karierten Flanellhemd ab. «Ich verbarrikadiere gerade den Eingang mit scheiß-störrischen Brettern. Ich schaffe es kaum, die Nägel reinzuhämmern, so hart ist das Holz. Zwei Minuten später und Sie wären hier drinnen gefangen gewesen.»
Er dachte offensichtlich nicht daran, dass sie ja auch von irgendwoher das Education Center betreten haben musste. Tala schluckte ihren Kommentar herunter. «Was ist denn hier passiert?»
«Kommen Sie endlich. Hab heute die Arschkarte gezogen und muss die ganze Drecksarbeit alleine machen, weil mein Kollege, dieser Tölpel, sich den Fuß gebrochen hat.» Ungeduldig gab er ihr ein Zeichen, ihm zu folgen.
Tala verdrehte die Augen und ging hinter ihm her. Die Eingangstür war völlig zerstört, als wäre jemand einfach hindurchgestürmt und hätte sie aus den Angeln gerissen. Als sie vor dem Education Center standen, guckte sie sich suchend nach Matt Jerkins um, aber er war nicht zu sehen. Erleichtert atmete sie tief durch.
«Wenn Sie mich fragen, ist das irgend so eine bescheuerte Stammesfehde gewesen.» Er steckte sich einen Nagel zwischen die Lippen, schob ein großes Brett vor den Eingang und begann es festzunageln. «Die Indianer haben sich schon immer bekriegt. Die brauchen das.»
«Reden Sie keinen Unsinn», zischte sie ihn an. Die in Alaska ansässigen Indianerstämme verstanden sich bestens und veranstalteten sogar gemeinsam Powwows – Feste, bei denen hauptsächlich gesungen und getanzt wurde, die aber auch dazu dienten, Kontakte zu pflegen und Ehrungen vorzunehmen. Tala liebte diese Veranstaltungen wegen der zahlreichen Tanzstile und der bunten Kleidung. Powwows fanden sowohl im kleinen Kreis als auch in Form von Wettkämpfen statt. Ein Zeremonienmeister führte durch das Fest, an dem Tänzer jeden Alters teilnahmen.
Ein Nagel knickte ab. Der Handwerker riss ihn wieder heraus und nahm einen neuen. «Doch, doch, das gehört zu deren Kultur. Auge um Auge, Zahn um Zahn.»
Das Zitat stammte aus der Bibel. Tala lag
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