Alphawolf
Wolfsgestalt jagen wir Beutetiere.»
Sie fragte sich, ob Rufus diese Erfahrung auch schon gemacht hatte, vermied es aber, bei dem Thema in die Tiefe zu gehen. «Dante sucht auf eigene Faust. Und weil er im Kliniklabor kein Heilmittel und im Kulturzentrum und Education Center keinen Hinweis auf einen anderen Ritus gefunden hat, machte er Kleinholz aus der Einrichtung.»
«Gut möglich.» Seufzend schüttelte er den Kopf. «Wir wussten ja noch nicht einmal, dass es machbar ist, ein Mischwesen zu erzeugen. Die Chance, eine Art Gegengift zu finden, ist schwindend gering.»
Bei einem neu entdeckten Zauber existiert noch kein Gegenzauber, das war die Crux. Das Entstehen der Bestie war ein Unfall, eine bis dato nicht existente Mutation. Es konnte Jahre dauern, bis man eine Möglichkeit fand, Dante zu erlösen – falls überhaupt jemals. Bis dahin war er längst der Raserei verfallen. Wut und Verzweiflung waren mächtige Impulse. Und bei einem Körper wie dem von Dante machten diese Antriebskräfte ihn über kurz oder lang zu einer zerstörerischen Kampfmaschine, die ihrem Hass freien Lauf ließ.
Talas Handy klingelte. Sie holte es aus ihrer Jackentasche und warf einen verstohlenen Blick auf das Display. Mantotopah. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Lupus sie neugierig beäugte. Tala zögerte einen Moment, dann drückte sie den Anruf weg. Sie wollte nicht mit Toto sprechen, während einer von Claws Gefährten lauschte, denn sie waren die Augen und Ohren des Alphawolfs, wenn er nicht anwesend war.
Ihr Blick glitt zu Matt Jerkins, der sie, gierig wie eine lauernde Hyäne, aus dem Skater-Geschäft heraus zwischen zwei Schaufensterpuppen hindurch angaffte. Würde Tala ihn loswerden, wenn sie banalen Alltäglichkeiten nachging? Vielleicht würde es ihm zu langweilig werden oder er kam zu dem Schluss, dass sich sein Verdacht ihr gegenüber nicht erhärtet hatte und er nur seine Zeit mit ihrer Observation verschwendete.
Während sie zum Supermarkt zeigte, fragte sie sich, ob sie jemals wieder unbeobachtet sein würde. «Wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch gleich ein paar Dinge einkaufen. In meinem Kühlschrank herrscht gähnende Leere.»
Lupus begleitete sie. Sie hatte vermutete, dass er sich wieder zurückziehen würde, doch er schob ihren Einkaufswagen durch das Geschäft, als wäre er ein Vertrauter, ein väterlicher Freund.
Rufus tauchte in ihren Gedanken auf. Sie machte sich Sorgen um den Jungen. Wo mochte er stecken? Brauchte er eine Auszeit vom Rudel oder war ihm etwas zugestoßen? «Wieso kann Claw Rufus nicht leiden?»
«Wie kommst du darauf?» Überrascht runzelte er die Stirn.
Nachdem sie eine Packung geschnittenes Brot in den Wagen gelegt hatte, ging sie zu dem Regal mit den Konfitüren. «Er geht nicht gerade freundlich mit ihm um. Ist etwas zwischen den beiden vorgefallen oder gehört das zu seinem Image als großer, böser Alphawolf?»
Lupus sah sich um. Dann kam er rasch zu ihr und legte den Zeigefinger an seine Lippen. «Nicht so laut.»
Entschuldigend hob Tala ihre Schultern.
«Rufus ist der Omega-Wolf des Rudels, der Schwächste, der ganz unten in der Hierarchie steht», erklärte er mit gedämpfter Stimme. «Claw weist ihn dann und wann nur in seine Schranken, wie er es bei uns allen tut, damit wir seinen Rang nicht in Frage stellen. Das kann wohl nur jemand verstehen, der auch ein du-weiß-schon-was ist.»
«Du irrst dich.» Tala lächelte müde und wählte zwei verschiedene Marmeladen aus. «Solch ein Verhalten gibt es nicht nur im Tierreich. Du kümmerst dich um Rufus, hab ich Recht?»
Er folgte ihr zum Kühlregal. «Du bist eine gute Beobachterin. Rufus und ich, wir haben eine besondere Beziehung. Ich schirme ihn vor Claw ab, soweit das möglich ist, denn der Junge scheint das Pech anzuziehen, wie – Entschuldigung – Scheiße Fliegen.»
Der Vergleich wie Motten das Licht hätte Tala besser gefallen. «Was meinst du damit?» Sie tat so, als könnte sie sich nicht entscheiden, welchen Aufschnitt sie mitnehmen sollte, dabei waren ihre Ohren gespitzt. Claw hieß es bestimmt nicht gut, dass Lupus Rudel-Interna ausplauderte.
Er lehnte sich auf den Griff des Einkaufwagens und wirkte erschöpft. «Er wohnte damals noch in Juneau, als sich seine Eltern trennten. Sein Vater durfte ihn nur alle vierzehn Tage am Wochenende sehen. Dann holte er den Kleinen ab und machte lauter tolle Sachen mit ihm. Er besuchte mit ihm den Glacier-Bay-Nationalpark, sie schauten sich gemeinsam die Gastineau
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