Alptraum-Sommer
richtete mich auf. Das Fenster lag in meiner Reichweite. Rasch hatte ich es ganz geöffnet und schaute hinaus.
Nebel wallte wie ein dicker Vorhang um das Boot. Nicht einmal Umrisse konnte ich erkennen. Keine Lichter, keinen Himmel, nur das dicke, unnatürliche Grau.
Ich stand auf, fühlte mich etwas benommen und preßte meine Hand gegen die Stirn. Ich überlegte, ob ich Suko wecken sollte, ließ es bleiben. Er brauchte auch seinen Schlaf. Normalerweise war Suko beim geringsten fremden Geräusch wach. Es mußte Mandragoro gelungen sein, ihn in einen tranceähnlichen Zustand zu versetzen. Wenn ich Suko jetzt wecke, verlor ich zuviel Zeit.
Ich taumelte geduckt weiter. Noch immer war ich nicht richtig da. Der Schwindel trieb mich dicht neben dem Ausgang gegen die Wand, von der ich mich wieder abstützte.
Mit taumeligen Bewegungen kletterte ich den Niedergang hoch und erreichte das Deck.
Dort blieb ich stehen und saugte den feuchten Nebel ein. Ich erkannte kaum die Reling, so dicht war die Suppe geworden, ging hin und stützte mich daran ab, wobei ich meinen Oberkörper nach vorn beugte und versuchte, über das Wasser zu schauen.
Es war nicht einmal zu erkennen. Auf der Oberfläche des Flusses waberten die Wolken wie grauer dicker Schleim, in dessen Mitte sich jedoch ein mächtiger Schatten bewegte.
Das mußte Mandragoro sein!
Verdammt, ich hätte ihn noch nach den Wurzelmännchen fragen wollen, nach der Alraunen-Magie, denn damit stand er in einer sehr engen Verbindung. Zischend drang der Atem aus meinem Mund. Hinter meinen Schläfen pochte es, und allmählich löste sich der Nebel auf. Ein gewaltiger Quirl rührte in ihm um.
Die Sicht wurde besser.
Der Schatten war noch da.
Über dem Wasser schwebte er. Sehr dunkel, teerschwarz. Kompakt, aber trotzdem irgendwo elegant. Auch mit einem hellen Fleck in der Mitte, als würde dort eine Laterne leuchten, deren Licht sich zitternd bewegte, als der Schatten ging.
Was war das?
Zeigte sich Mandragoro als gewaltiges Wurzelgeflecht, das sich auf dem Wasser bewegen konnte?
Leider war der Dunst noch zu dicht. Meine Augen schmerzten schon vom langen Schauen, aber ich hatte bereits gesehen, daß sich der Schatten auf ›Stelzen‹ bewegte.
Dem Umwelt-Dämon traute ich alles zu. Er blieb nicht auf eine Gestalt begrenzt. Er gehörte zur Natur, er war ein Stück Natur, er konnte sich verändern und warum nicht in der Gestalt eines Tieres auftreten?
Noch einmal zuckte das helle Gesicht in der Mitte, dann verschwand der Körper am gegenüberliegenden Ufer in der Böschung.
Zurück blieb ich.
Mein Blick fiel auf eine leere Wasserfläche, auf der die Dunstschwaden dabei waren, sich zu verteilen und dabei zu sehr dünnen Tüchern wurden. Es sah so aus, als besäße das Wasser die Kraft, den Dunst zu verschlucken. Allmählich bildete sich die normale Umgebung zurück. Die Dunkelheit war nicht so dicht, als daß ich nicht die Umrisse der Häuser hätte erkennen können. Sie sahen aus wie ein künstliches Dorf, das jemand an das Flußufer hingestellt hatte, als wollte er dadurch gewisse Lebensbedingungen testen. Die dumpfe Schwüle war mit dem Nebel ebenfalls verschwunden. Es gelang mir wieder, frei zu atmen, und ich freute mich darüber, daß die Luft kühler geworden war.
Dann trat ich zurück.
Meine Gedanken drehten sich natürlich um Mandragoro und dessen Pläne. Daß Suko und ich sie stören würden, lag auf der Hand. Wir mußten uns einfach in die Quere kommen. Bisher hatte ich ihm in gewisser Hinsicht vertrauen können. Es war immer zu einem Kompromiß gekommen. Wir hatten uns beide nichts vorwerfen können. Diesmal aber würden wir seine Pläne direkt stören. Er war dabei, sich etwas aufzubauen, das für ihn Modellcharakter besaß. Daß er sich da vertreiben ließ, wollte ich nicht glauben.
Uns standen schwere Zeiten bevor, denn ich dachte nicht daran, den Rückzug anzutreten.
Hinter mir hörte ich leise Schritte. Ich wußte, daß es Suko war. Er stellte sich neben mich, schaute ebenfalls auf das Wasser. Nach einer Weile sagte er: »Ich denke, du hast mir etwas zu sagen, John.«
»Das denke ich auch.«
»Und was habe ich verpaßt?«
»Wie kommst du darauf, daß du etwas verpaßt haben könntest?«
Er drehte den Kopf und lachte leise. »Das ist ganz einfach. Wenn jemand schläft, merkt er normalerweise nicht, wenn etwas mit ihm dabei geschieht. Vor allen Dingen dann nicht, wenn aus dem Schlaf ein Zustand der Lethargie wird. Ich hatte plötzlich den Eindruck, sehr
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