Alptraumland
überregionale Presse war zu groß. Da zum Flying Scotsman auch ’ne Druckerei gehörte, hab’ ich mich als Drucker durchgeschlagen.
THORNHILL: War Ihnen in der Zeit, als der Flying Scotsman erschien, der Name Stephen Ashton ein Begriff, Mr. Grendon?
GRENDON: Ja, Sir. Er war mir ein Begriff.
THORNHILL: In welcher Form?
GRENDON: Nun, Sir … Soweit ich mich erinnere, rankte sich um einen Gentleman dieses Namens so manch seltsame Geschichte …
THORNHILL: Was waren das für seltsame Geschichten, Mr. Grendon?
GRENDON: Nun ja … All das ist Jahre her … Was über diesen Mann in die Welt gesetzt wurde, kam natürlich nicht durch seriöse Nachrichtenagenturen, sondern aus dem Klatsch und Tratsch der Dörfer im Norden. Und Waschweiber sind für einen Journalisten weiß Gott nicht die seriösesten aller Quellen …
THORNHILL: Als Vertreter der Staatsgewalt verstehe ich genau, was Sie meinen, Mr. Grendon. Bitte setzen Sie Ihre Aussage fort.
GRENDON: Womit, Sir?
THORNHILL: Mit dem, was über Mr. Stephen Ashton verbreitet wurde, Mr. Grendon.
GRENDON: Ach so. Na, freilich, Sir! Also, ich erinnere mich, daß mir allerlei Gerüchte über diesen Mann zu Ohren kamen, die der Flying Scotsman natürlich nicht drucken konnte …
THORNHILL: Aus welchem Grund denn nicht?
GRENDON: Weil es halt nur Gerüchte waren, Sir. Durch nichts bewiesene Gerüchte. Fama. Bauerntratsch, wenn Sie mich fragen. Ammenmärchen, von abergläubischen Weibern verbreitet. Und da Mr. Ashton eine reiche und deswegen wahrscheinlich auch einflußreiche Persönlichkeit war, hatte ich natürlich keine Lust, mir die Finger zu verbrennen, indem ich diese Gerüchte in meinem Blatt erwähnte.
THORNHILL: Das ist verständlich, Mr. Grendon. Seriöse Journalisten sollten derlei Dinge niemals tun. Aber bleiben wir bei den von Ihnen angedeuteten Gerüchten. Können Sie uns etwas mehr dazu sagen? Was wurde Ihnen konkret über Mr. Stephen Ashton zugetragen?
GRENDON: Nun, Sir, es waren … unglaubliche, haarsträubende Dinge, die man in der Öffentlichkeit unmöglich …
THORNHILL: Das ist hier ein staatlicher Untersuchungsausschuß, Mr. Grendon, den man kaum als Öffentlichkeit bezeichnen kann.
GRENDON: Gewiß, Sir, trotzdem …
THORNHILL: Sie stehen, wie alle Zeugen in diesem Fall, unter Eid, Mr. Grendon. Sie wissen, was das bedeutet?
GRENDON: Ja … Sir.
THORNHILL: Wenn Sie nicht belangt werden möchten, Mr. Grendon, dürfen Sie kein falsches Zeugnis ablegen und nichts verschweigen, was Ihnen zu Ohren gekommen ist.
GRENDON: Ja, Sir … Aber …
THORNHILL: Ich muß Sie bitten, konkreter zu werden, Mr. Grendon. Der Ausschuß ist sich der Tatsache durchaus bewußt, daß Sie hier nur Dinge wiedergeben, die Ihnen von dritter Seite zugetragen wurden, und daß Sie deren Echtheit möglicherweise mit Fug und Recht bezweifeln.
GRENDON: Ich weiß nicht, Sir. Ich möchte eigentlich nicht über diese Dinge sprechen, solange … die Zeugin Storm zugegen ist.
THORNHILL: Was haben Sie gegen Miss Storm?
GRENDON: Nichts, Sir, gar nichts.
THORNHILL: Und warum wollen Sie in Miss Storms Gegenwart nicht über diese Dinge sprechen, Mr. Grendon?
GRENDON: Weil Sie … eine Dame ist, Sir.
AUS DEM TAGEBUCH DES RODERICK ASHTON
Einen Tag später schickte ich Perkins mit dem Wagen nach Glasgow. Ich hatte ihn inzwischen überredet, seine Stellung bei der Autovermietung zu kündigen und ganz in meine Dienste zu treten.
Ich vertraute ihm einige gewisse Summe an, mit der er einen Neuwagen kaufen sollte und händigte ihm eine Liste aller Gegenstände aus, die wir brauchten, um uns das Leben einigermaßen angenehm zu gestalten, bis die Bauarbeiter eintrafen.
Als der Wagen im Tannenwald verschwunden war, nahm ich eine erste nähere Inspektion von Ashton Manor vor, denn bisher hatte ich dazu keine Zeit gefunden. Als ich zum ersten Mal bei Tageslicht durch die Räume ging, empfand ich doch sehr große Überraschung. Obwohl sich zwanzig Jahre lang keine Menschenseele um das Gebäude gekümmert hatte, machte es den Eindruck, von keines Menschen Fuß betreten worden zu sein. Das kam mir ziemlich eigenartig vor. Ashton Manor lag sehr weit von der nächsten menschlichen Behausung entfernt, und normalerweise hätten sich hier Einbrecher und Landstreicher die Klinke in die Hand geben müssen.
Doch ich fand nirgendwo Spuren irgendwelcher Diebereien. Sogar die von jahrelangen Wind- und Wetterstürmen eingedrückten Fensterscheiben im obersten Stockwerk schienen niemanden dazu
Weitere Kostenlose Bücher