Alptraumland
hervorrief. In die Wand waren Eisenringe eingelassen, an denen rostige Ketten befestigt waren. An den Ketten wiederum – ich schätzte sie auf über hundert – hingen mehrere Dutzend verschrumpelte Tierkadaver.
Meine Knie zitterten. Soweit ich meinen biologischen Kenntnissen trauen konnte, handelte es sich um die Kadaver von Ratten und Fledermäusen; übriggeblieben waren dürre Hülsen, die Haut spannte sich wie straffes Leder um die Gerippe. Ein unbeschreibliches Ekelgefühl erfaßte mich. Meine Zunge lag plötzlich wie ein trockenes Stück Holz im Mund; meine Zähne schlugen hemmungslos aufeinander. Mein Puls raste, meine Knie drohten nachzugeben. Der Anblick war einfach schauerlich. Welchem Zweck mochten die Kadaver gedient haben? Was hatte Onkel Stephen dazu bewogen, die armen Tiere auf diese scheußliche Weise hinzurichten? Was sollte das alles? Mir wurde so schlecht, daß ich nicht anders konnte, als die Fenster der Bibliothek zu öffnen, damit der widerliche Aasgestank abzog. Die Geheimkammer war seit Onkel Stephens Tod nicht mehr gelüftet worden. Staub bedeckte den Boden. Als ich mir erneut ein Herz faßte, um den Raum einer Untersuchung zu unterziehen, fand ich weitere Indizien, die anzeigten, daß mein Onkel ein blutdurstiges Scheusal und Ungeheuer in Menschengestalt gewesen sein mußte.
Zuerst stolperte ich über Folterwerkzeuge. Beißzangen. Barbarische Fesseln. Handschellen und Bullpeitschen lagen herum. Ich stieß auf ein Meer von Knochen. Menschlichen Knochen! Gruseln schüttelte mich. Ich verließ die Kammer, warf die Geheimtür zu und eilte in mein Arbeitszimmer. Erst ein Glas Whisky machte meinen Kopf wieder klar. Ich wollte dieser abscheulichen Angelegenheit auf den Grund gehen. Offenkundig war es meiner geistigen Gesundheit nicht dienlich, die Vergangenheit meines Onkels zu ignorieren. Wie schon erwähnt, ich kannte keinen normalen Menschen, der in der Lage gewesen wäre, in einem Haus, in dessen Keller eine Leiche modert, auch nur ein Auge zu schließen. Und ich hatte nicht nur eine Leiche entdeckt. Nun ließ sich nicht mehr leugnen, daß es hier um eine größere Sache ging.
Ich dachte an all die Toten und Verschwundenen, die die Zeitungsausschnitte in Onkel Stephens Album erwähnten. Wenn ich in diesem Hause bleiben wollte, durfte ich vor der Wahrheit nicht fortlaufen. Ich konnte die Tür nicht einfach wieder verschließen und meine Entdeckungen unbeachtet lassen. Wenn ich hier wohnen blieb, stieß ich vielleicht Zeit meines Lebens auf weitere Relikte dieser Art, und diese Aussicht behagte mir nun ganz und gar nicht.
Andererseits wollte ich ebensowenig, daß die Welt von den widerwärtigen Dingen erfuhr, die sich in diesem Haus abgespielt hatten; also galt es, beim Personal und den Bauarbeitern keinen Verdacht zu erregen.
Doch Marjorie, die zusammen mit Dorothy die Herrschaft über die Küche angetreten hatte, sah sofort, daß mit mir etwas nicht stimmte, meine schlechte Verfassung ein allgemeines Unwohlsein weit übertraf. »Sie sehen krank aus, Sir«, sagte sie beim Abendessen. »Fehlt Ihnen was?«
»Ich bin wohl überarbeitet«, winkte ich gespielt nonchalant ab und setzte ein Grinsen auf, um zu sehen, ob man mir die lahme Ausrede abnahm.
Ich verspürte Furcht, weil ich jetzt wußte, daß die Gefühle, die man in der Umgebung gegenüber meinem Onkel hegte, durchaus einen berechtigten Grund hatten. Man hatte ihn verdächtigt, doch ihm nichts nachweisen können. Wenn die Bauern erfuhren, daß ihr Verdacht triftig gewesen war, machten sie mit mir womöglich kurzen Prozeß. Vor meinem inneren Auge ragte der nächtliche Landsitz in die Höhe, sah ich schon hellrote Flammen aus dem Haus lodern, auf dem Vorplatz Bauern und Dörfler mit Pechfackeln stehen und wütende Schmähungen ausstoßen.
Ich redete mir ein, daß niemand etwas merken dürfte. Schon gar nicht jene, die Unterkunft und Arbeit bei mir gefunden hatten. Wenn sie erfuhren, was ich entdeckt hatte – und was mir den Schlaf raubte –, würden sie mich verlassen.
Die darauffolgende Nacht wurde derart schlimm, daß ich ernsthaft in Erwägung zog, einen Arzt aufzusuchen. Ich erwachte Schlag Mitternacht, sah hundert abgetrennte, von Blut triefende Hände auf Fingern über den Teppich spazieren und vernahm die gräßlichen Schreie zerzauster, prähistorischer Todesvögel, die Ashton Manor mit ledernen Schwingen umflogen.
Schier endlose Tage hindurch schleppte ich mich dahin. Ich magerte ab, doch das Personal gewahrte es kaum,
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