Alptraumland
Praxis Dr. Redgraves. »Wünschen Sie nicht doch lieber Beistand statt Pillen?« fragte er mich. Ich sah sein Gesicht dicht über mir, als ich die Augen aufschlug.
»Ich kann nicht mehr«, hörte ich mich raunen. »Ich bin so mit den Nerven herunter, daß ich nicht mehr beurteilen kann, ob ich das Opfer einer Verschwörung oder erblichen Wahnsinns bin.«
»Immer mit der Ruhe«, sagte Redgrave. »Vermeiden wir doch jede Übertreibung.« Er setzte sich neben mich auf einen Stuhl. »Solange Sie mir nicht sagen, was Ihnen wirklich auf der Seele brennt, kann ich Ihnen nicht helfen. Sie müssen schon aufrichtig sein …«
Und da endlich beichtete ich ihm alles. Ich erzählte ihm von meinem bisherigen Leben; von dem seltsamen Haus mit den seltsamen Büchern; vom Skelett Janet Kirks; von dem geheimnisvollen Rothaarigen, der zweimal auf mich geschossen hatte; dem Haß, der mir überall entgegenschlug. Und von den widerlichen Träumen. Auch den Traum ließ ich nicht aus. Ich hatte genug. Schweigen konnte und wollte ich nicht mehr. Die Stunde der Wahrheit hatte geschlagen, und so wie ich mich fühlte, war mir jedes menschliche Wesen für eine Aussprache recht.
»Kannten Sie Ihren Onkel persönlich?« fragte Redgrave anschließend. »Haben Sie ihn je gesehen? Mit ihm gesprochen?«
»Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Er wanderte 1880 mit meinem Vater und seinen Eltern in die Staaten aus. Irgendwann ist er verschwunden. Er war beim Goldrausch am Klondike dabei und hat dort ein Vermögen gemacht. Dann ist er, ohne sich bei der Familie zu melden, in die alte Heimat zurückgekehrt. Wir wußten nichts von seinem Reichtum. Die Erbschaft kam für mich völlig überraschend.«
»Die Umgebung, das Landhaus, die Geschichten, die über Ihre Vorfahren kursieren, all das muß zweifelsfrei tiefen Eindruck bei Ihnen hinterlassen haben«, meinte Redgrave. »Können Sie sich vorstellen, daß Sie sich das alles nur einbilden?«
»Ich weiß verdammt genau, was ich sehe und was nicht!« fauchte ich aufgebracht. »Beruhigen Sie sich«, erwiderte Redgrave. »Ich hatte nicht vor, Sie als verrückt zu bezeichnen.« Er schmunzelte. »Außerdem wäre es geschäftsschädigend. Aber Sie geben doch zu, daß Ihre Geschichte verrückt klingt …«
»Natürlich klingt sie verrückt! Warum denn, glauben Sie, habe ich mich damals überhaupt an Sie gewandt? Wäre ich wirklich irre, würde ich mich doch für normal und alle anderen für verrückt halten! Hören Sie, Doktor, bevor ich in dieses Land kam, habe ich vom Schreiben haarsträubender Geschichten gelebt. Glauben Sie, ich wäre zu Ihnen gekommen, wenn es bloß um irgendeine Spinnerei ginge? Ich bin ein fortschrittlicher Mensch. Ich glaube weder an Gott noch an den Teufel … Aber Sie sehen doch, was aus mir geworden ist.«
»Ich wollte die Praxis ohnehin morgen schließen«, sagte Redgrave, »um ein paar Wochen Urlaub zu machen und ein Buch über psychologische Phänomene schreiben. Ich glaube, es ist besser, ich fahre mit Ihnen nach Ashton Manor und sehe mir die gesamten Gegebenheiten an Ort und Stelle an.«
Mit seinem Automobil fuhr Dr. Redgrave uns nach Ashton Manor. Als wir dort eintrafen, empfing uns Howard, der über meine Heimkehr in einigermaßen erholter Verfassung freundschaftliche Genugtuung bewies, und zwar um so mehr, als ich ihn gleich in meinen Vorsatz einweihte, zu guter Letzt mit Dr. Redgraves Unterstützung entscheidende Anstrengungen zur Behebung meiner Schwierigkeiten zu unternehmen.
Ich beauftragte die Storm-Schwestern mit dem Zubereiten einer Kanne Tee; dann ging ich mit Howard und Redgrave in den Salon, und wir setzten und an einen Tisch.
Nachdem ich mich Redgrave offenbart hatte, empfand ich keinerlei Scheu mehr, über meine grausige Entdeckung, meine Träume und meine Vermutungen zu reden. Howard, der ebenso aufmerksam wie Dr. Redgrave zuhörte, vermittelte mir zudem ein Gefühl von Sicherheit und Freundschaft. Ein starker Druck wich von meinem zerquälten Gemüt.
»Es klingt alles reichlich phantastisch«, resümierte Howard, als ich geendet hatte. »Aber da ich dich als ernsthaften Menschen kenne, schenke ich dir vollauf Glauben. Dein mysteriöser Onkel war also offenbar ein Scheusal, wie es im Buche steht. Aber eines beschäftigt mich mehr. Was flößt dir eigentlich diesen gottserbärmlichen Schrecken ein?«
»Meine Alpträume, Howard …«
»Mr. Ashton leidet an tiefsitzenden Ängsten des Unterbewußtseins«, erläuterte Dr. Redgrave, der sich mit meiner
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