Alptraumland
etwas.« Er las es vor. »Wie verlautet, hat Mr. Stephen Ashton von und zu Ashton Manor im Zuge eines Projekts, das mit Ahnenforschung zu tun hat, vier wissenschaftliche Kapazitäten engagiert, die die versunkenen Gewölbe der einstigen Zwingburg Ashton Castle finden sollen. Gemäß der Planung sollen die Forschungsarbeiten noch in diesem Jahr beginnen.«
Der Artikel nannte vier, darunter zwei ausländische Archäologen. Diese Forscher waren damals zwischen 66 und 72 Jahre alt gewesen. Howard warf einen Blick auf die Titelseite. »Das war neunzehnhunderteins. Ich glaube kaum, daß diese Gentlemen noch unter den Lebenden weilen.«
»Diese Möglichkeit können wir wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen«, stimmte ich mit Bedauern zu.
Leider fanden wir trotz sorgsamsten Eruierens keinerlei Hinweis auf den Verlauf der zu Ashton Manor durchgeführten Nachforschungen. Nicht einmal ein Hinweis auf die Abreise der Wissenschaftler ließ sich aufspüren. Alle drei sahen wir darin ein ziemlich enttäuschendes Ergebnis.
»Da fällt mir etwas ein«, sagte mit einem Mal Dr. Redgrave, während er und ich uns mit einem Gläschen Sherry trösteten. »Einer der Forscher, der Franzose aus Paris, wie hieß er doch gleich …?«
»Professor Marcel Palétuvier.« Natürlich hatte Howard sich mit seinem unfehlbaren Gedächtnis die in der Zeitungsmeldung erwähnten Namen gemerkt.
»Ja genau.« Redgrave paffte an einem Zigarillo. »Palétuvier hatte eine Jesuitenausbildung und ging damals beim Pfarrer von Skelmerhe ein und aus, Hochwürden Bedruthan, mit dem er gern über religionsphilosophische Fragen diskutierte. Ich weiß es noch genau, ich bin ein-, zweimal mit den beiden in Harley’s Inn zu Tisch gewesen.« Bei der Erinnerung an meine Erlebnisse in Skelmerhes Gasthof knirschte ich unwillkürlich mit den Zähnen. »Es könnte sein, daß der Professor dem Pfarrer einiges erzählt hat, über das bisher der Mantel des Schweigens gebreitet geblieben ist.«
»Lebt der Pfarrer noch?« Zeigte sich da ein neuer Hoffnungsschimmer, endlich an weitere Informationen zu gelangen?
Mit trübsinniger Bedächtigkeit nickte Dr. Redgrave. »Noch lebt er, ja«, antwortete er mit leicht düsteren Anklängen in der Stimme. »Als sein Arzt darf ich keine Diagnose nennen, doch ist jedem in Skelmerhe ohnehin geläufig, daß eine viele Jahre währende Trunksucht seinen Leib aufs einschneidendste zerrüttet hat … Also verrate ich wohl kein eigentliches Geheimnis, wenn ich die Andeutung äußere, daß ich glaube, es kann nicht mehr lange dauern kann, bis er vor den Allmächtigen tritt.«
Ich schob mein Glas beiseite und stand auf. »Worauf warten wir?« rief ich. »Statten wir ihm einen Besuch ab. Vielleicht ist es morgen schon zu spät.« Über dem Durchblättern der Zeitungen war der Tag zum größten Teil verstrichen; es war früher Abend geworden. In einem Sommermonat wie dem August bestand allerdings gute Aussicht, mit dem Automobil noch im Hellen in Skelmerhe sein zu können. Dr. Redgrave bot nochmals die Benutzung seines Kraftfahrzeugs an, und nachdem ich die Storm-Schwestern angewiesen hatte, uns das Abendessen warmzustellen, setzte er sich ans Lenkrad.
Während der Fahrt drehte sich unsere Konversation, als hätten wir alle drei das Bedürfnis, unsere Gedanken zeitweilig auf etwas anderes als die finsteren Rätsel Ashton Manors zu richten, lediglich um Belanglosigkeiten. Howard erzählte von seiner Schreiberei; vor drei Tagen hatte er einen Brief mit der Mitteilung erhalten, daß das Schundmagazin Weird Tales eine seiner Geschichten zu drucken beabsichtigte. Ich lobte ihn tüchtig, obwohl man sich von einer derartigen Veröffentlichung kaum versprechen konnte, daß er damit größere Summen verdiente oder seine schriftstellerische Laufbahn förderte. Aber dergleichen schnöde Ziele hatte unser aristokratisch gesonnener Howard ja auch gar nicht im Sinn.
Dr. Redgrave plauderte über die folkloristischen Besonderheiten der ländlichen Umgebung, in der er sich recht gut auskannte. Wegen der Abneigung der Bewohner Skelmerhes gegen meine Person mußten wir einen Umweg nehmen und fuhren – wie der Doktor unterwegs erläuterte – durch einen Creagh-craig, einen seit alters her zum Viehtrieb genutzten Hohlweg, der früher regelmäßig von Herd-widdie-fows, sogenannten ›Tollen Hirten‹, will heißen: Viehräubern, heimgesucht worden sein sollte. Dabei mußte ich sofort an den Schweinehirten meiner Träume denken, sagte jedoch nichts; da
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