Alptraumland
Erlaubnis einen Zigarillo entzündet hatte. »Die widerlichen Geschichten über seine Ahnen und ihren furchtbaren Kult ergeben im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Untaten Stephen Ashtons folgendes Bild: Mr. Ashton befürchtet so zu werden wie sein Onkel.«
Bei diesen Worten spürte ich, daß ein seltsames Zittern Gewalt über mich bekam. Die Zunge lastete mir bleiern im Gaumen. Ich brachte keinen Ton hervor, so erschütterte es mich bis ins Innerste, als ich ersah, daß Redgrave meine geheimsten Gedanken erriet. Aber er hatte recht. So sehr ich es auch aus meinem Geist zu verdrängen suchte: Ich hatte die grausige Sorge, in mir könnten die gleichen Triebe schlummern wie in Onkel Stephen. Mir war, als stünde ich auf einer hundert Meter hohen Brücke und litte unter dem unerklärlichen Drang, in die Tiefe zu springen. Ich hatte mit meinen New Yorker Bekannten über diese entsetzliche Erscheinungsweise der Todessehnsucht diskutiert, und mir war mehr als einmal bestätigt worden, daß fast alle, mit denen ich darüber Sache gesprochen hatte, das gleiche Gefühl empfanden. Dies ist der Grund, warum man die Geländer hoher Brücken oder Türme instinktiv meidet: um nicht in Versuchung zu geraten …
»Es stimmt …« Meine Stimme rasselte, ich spürte Howards aufmerksamen Blick in meinem Gesicht. »Dr. Redgrave hat recht … Es ist abscheulich und widerwärtig, aber ich habe das Gefühl, als triebe mich irgendein innerer Zwang, mich geradezu wollüstig in diese Alpträume zu stürzen. So sehr ich auch im Wachzustand vor den Ungeheuern und Greueln zittere, denen ich begegne, wenn ich mich zum Schlafen hinlege, erwarte ich sie mit einer viehischen Lüsternheit, die mich fast zum Wahnsinn treibt …«
Howard schaute mich an, als hätte ihn der Verdacht gepackt, ich sei doch kein Gentleman.
»Vielleicht ist es die Umgebung, die Sie beeinflußt«, sagte Redgrave. »Aber ich möchte sichergehen. Zeigen Sie mir zuerst Ihre … Entdeckungen.« Ich führte Redgrave und Howard in den Keller, öffnete die Truhe mit den Gebeinen der Ermordeten und zeigte ihnen den Ring mit der Gravur. Dann begaben wir uns in die Bibliothek. Redgrave konnte ein Gruseln nicht verheimlichen, während sein Blick über die vielen schauderhaften Bücher glitt. Howard hingegen musterte sie mit merklicher Faszination. Als ich die Geheimtür öffnete und der ekelerregende Gestank auf uns eindrang, schnappten beide Männer erst einmal nach Luft.
Langsam tasteten wir uns in die finstere Geheimkammer vor. Ich zündete einen Leuchter an. Im Halbdunkel wirkte alles noch scheußlicher aus als beim ersten Mal. Nur die Anwesenheit meiner Begleiter hinderte mich daran, sofort die Flucht zu ergreifen. Redgrave und Howard untersuchten die in der Kammer befindlichen Gegenstände in aller Ruhe. Sie betrachteten den Knochenberg, der sich in der Ecke auftürmte, und die ausgetrockneten, ledrigen Kadaver der an den Wänden hängenden Tiere.
»Ich verstehe zwar nicht viel von Okkultismus«, sagte Redgrave später, als wir in meinem Arbeitszimmer bei einer Flasche Wein saßen, »aber alle Anzeichen sprechen dafür, daß Stephen Ashton gewisse Riten vollzogen hat, mit denen man Ihre Familie schon in vergangenen Jahrhunderten in Beziehung brachte.«
»Fragt sich nur«, meinte Howard, »was für ein Motiv er für diese Praktiken hatte.«
»Ja.« Redgrave nickte. »Etwa Interesse am Abwegigen, das ihn schließlich zu Ritualmorden anstachelte? Erblicher Wahnsinn? Nun verstehe ich Mr. Ashtons Ängste besser.«
»Vielleicht könnte man mehr über seine Motive erfahren«, äußerte ich, »wenn wir mehr über meine Vorfahren wüßten. Gerüchten zufolge soll Ashton Manor auf den Ruinen einer alten Zwingfeste erbaut worden sein. Ich habe gehört, Stephen Ashton hätte irgendwann einige Wissenschaftler nach den alten Gewölben der Feste forschen lassen.«
»Und hat man sie gefunden?« fragte Howard.
Ich verneinte. »Offiziell nicht … Aber vielleicht ist etwas entdeckt worden, und man hat es verschwiegen. Möglicherweise etwas für Onkel Stephens späteres Leben sehr Maßgebliches.«
Redgrave hielt meinen Vorschlag für brauchbar.
Bald darauf saßen wir zu dritt über den alten Ausgaben des Flying Scotsman. Wir blätterten sie sorgfältig Seite um Seite durch und suchten nach Erwähnungen der von den Historikern durchgeführten Nachforschungen. Zu guter Letzt fand Howard eine Pressemeldung.
»Hier«, rief er nach ungefähr einer Stunde beharrlichen Suchens. »Da steht
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