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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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herausschnitten, schnürten sie die beiden Teile zusammen. Zwischen den beiden dicken Wülsten schoben sie zwei Bretter hindurch und befestigten sie mit einer langen Schraube. Als Griffe dienten zwei Stücke Heizungsrohr aus PVC, die sie vorne auf den Holzbrettern anschraubten. Sie legten sich beim Bau dieses Meisterwerks der Ingenieurskunst richtig ins Zeug. Überall lag Werkzeug herum: auf dem Tisch, auf dem Gästebett, auf dem Waschbecken, in der Dusche. Renée schimpfte, als sie auf der Bank im Esszimmer Holzkleber entdeckte. Der Boden des Observatoriums war mit unterschiedlich langen Schnüren, Flaschen, Schläuchen, Müllbeuteln, Klebeband und Material übersät, das für Uneingeweihte sicherlich völlig nutzlos aussah. Sogar Renée, die mit so einem Chaos durchaus vertraut war, warf aus Versehen ein kleines Stück Kunststoff weg, das neben dem Fernseher lag.
    Unglücklicherweise stellte sich heraus, dass Paul und Marcel dieses Stück eigens für ihr Projekt zugeschnitten hatten. Paul ließ Renée seinen Zorn deutlich spüren, und fortan rührte sie nichts mehr an. Später bekam Renée ihrerseits Anlass, wütend zu werden. Paul hatte sich ihr Nähzeug ausgeborgt, um die wasserdichte Plane zu nähen, und verbog dabei den größten Teil der Nadeln.
    Immer wieder suchten die beiden Baumärkte und Sportfachgeschäfte auf. In einer großen Wäschewanne, die Paul in die Garage gestellt hatte, überprüften sie, ob die Plane auch wasserdicht war. Marcel lief fast nur noch in der Badehose herum.
    Am Vorabend des großen Tages war Marcel allein im Observatorium. Er hatte die gesamte Ausrüstung für seine Reise auf dem Bett ausgebreitet: einen Schlafsack, das kleinste Zelt, das sie hatten finden können, Kleidung, verschiedene Landkarten, eine wasserdichte Hülle für die Brieftasche, ein Notizheft und drei Stifte, ein Taschenmesser, ein Schweizer Messer, ein Handy mit Aufladegerät, Tigerbalsam, 90%iger Alkohol, eine Aluminiumtasse, einen Löffel, eine Frischhaltedose mit Käse, Brot, getrockneten Aprikosen und Pflaumen, ein Badehandtuch mit Monogramm, eine kleine Kulturtasche mit den üblichen Utensilien, einen Kompass, eine aufladbare Taschenlampe, eine Sonnenbrille, ein Feuerzeug und ein einziges Buch, den Reiseführer der Loire . Die Schwimmflossen und der selbst gebaute Schwimmkörper ragten aus dem aus Wagenplane genähten Rucksack heraus, den er sich um die Brust schnallen würde. In einer Ecke des Observatoriums lehnte der ebenfalls selbst geschnitzte Wanderstock aus Bambus.
    Das wichtigste Teil der Expedition, sozusagen das Kernstück des Abenteuers, lag in Pauls Arbeitszimmer auf dem Stapel der Handbücher der Astrophysik. Es war eine Excel-Tabelle, die Marcel in vielen nächtlichen Stunden erstellt hatte. Geschützt durch eine eigens dafür gekaufte durchsichtige Hülle, enthielt das großartige, mehrere Seiten starke Dokument in dreifacher Ausführung seine gesamte Reise. Als Marcel es Paul zeigte, war dieser schwer beeindruckt. Doch letztendlich war es so, als wäre die Tabelle für höhere Instanzen bestimmt, für die Nachwelt vielleicht oder unwahrscheinliche Nachkommen oder – wer weiß – für diejenigen, die niemals an ihn geglaubt hatten. In der Tabelle waren alle Stationen mit den entsprechenden Daten und die Koordinaten der Campingplätze aufgelistet, um gegebenenfalls alle drei bis vier Tage zu duschen. Marcel kalkulierte für die tausend Kilometer acht Wochen ein. Das bedeutete durchschnittlich fünfundzwanzig Kilometer pro Tag, wenn er täglich etwa sechs Stunden unterwegs war. Dieses Pensum lag weit unterhalb seiner Leistungsfähigkeit, denn er war es gewohnt, vierzig und sogar fünfzig Kilometer lange Wanderungen zu unternehmen. Außerdem käme er beim Hydrospeed viel schneller voran, aber ihm war es lieber, großzügig zu kalkulieren. Da die Ile d’Yeu das Endziel der Reise war, hatte er Ginette, die Schwester seines Freundes Charles, in Notre Dame de Monts angerufen, die nur wenige Kilometer von der Schiffsanlegestelle entfernt wohnte. Marcel nahm das Angebot an, bei ihr zu übernachten, und informierte seine Gastgeberin, dass er nach seinen Berechnungen am 31. Juli ankommen würde. Das Unterfangen war also sorgfältig geplant, und er hatte die Ausrüstung getestet, überprüft und seinen speziellen Bedürfnissen angepasst. Es war so gut wie alles komplett. Und dennoch hatte Marcel, der inmitten des ganzen Krempels auf dem Bett saß, keine Lust mehr, zu der abenteuerlichen Tour

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