Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
zu.“
„Das ist ja nicht Deutschland, sondern nur der Westen.“
„Aber doch der größere Teil, über dreimal so groß.“
„Schulden machen wir hier jedenfalls nicht“, erwiderte Christas Mutter. „Es gibt bei uns noch vieles nicht, aber das wird sich auch ändern.“
„Die Russen werden uns jedenfalls nicht helfen“, konterte Sebastian.
Frau Richter winkte ab. „Die haben selber nichts. Wir wissen ja, wie die hier ankamen, als die Amerikaner abgezogen waren.“
„Das weiß ich auch noch“, bestätigte Sebastian nickend. „Wir waren nämlich ‘45 in einem Dorf nicht weit von Leipzig. Von den Amis dort haben wir kaum was mitgekriegt, nur daß die jeden Abend gegen acht mit einem Jeep durch den Ort fuhren wegen der Sperrstunde.
Aber dann die ersten Russen im Sommer, ich sehe das noch vor mir, drei Mann hoch, so kleine Kerle in speckigen Kitteln und Schiffchen mit rotem Stern auf dem kahlen Kopf. Man sah die kaum im Stroh eines Wägelchens wie so’n übergroßer Handwagen, gezogen von zwei Panjepferdchen. Und wie die dann auf dem Dorfplatz anhielten und aus dem Wagen kletterten, viel zu große Karabiner auf dem Rücken und an einem Strick um den Leib baumelten lange Dolche.
Und von einem Tag auf den anderen gab’s dann fast nichts mehr: Keine Milch und keine Butter auf Lebensmittelmarken, aber auch kein Schreibpapier, keinen Bleistift, nicht mal mehr Tinte. Ich weiß das so genau, weil ich damals viel gezeichnet habe.“
„Sie waren noch sehr jung …“
„Ich wurde im Sommer zehn.“
„Und da können Sie sich noch so gut erinnern?“
„Ja sicher. Fast an jeden Tag. Nicht vergessen werde ich, wie zwei Polen mit einem Stein den Adler mit Hakenkreuz vom schwarzen Anschlagbrett der Partei kratzten, einfach so wegkratzten und den Stein dann in den Dorfteich warfen. Oder wie für mich damals große Jungen und Mädchen unter der Linde, auf der ich hockte, Geldscheine zerrissen, weil die sowieso nichts mehr wert sein sollten, obwohl das Geld dann doch noch jahrelang gültig blieb.“
Sebastian sah auf die Uhr an der Wand und dann auf seine Armbanduhr.
„Ich weiß“, sagte Frau Richter als sie den Blick registrierte, „Sie müssen gleich los.“
Er fand es gut, daß nicht nach Ziel und Zweck seiner Reise gefragt wurde. Um das nicht gar zu geheimnisvoll erscheinen zu lassen, stimmte er Frau Richter zu und murmelte undeutlich was von einer Dienstfahrt. Das war nicht direkt gelogen, beschwichtigte er sich selbst. Der Nachrichtendienst ist ja schließlich auch ein Dienst.
„Zum Abschied einen Cognac?“ Frau Richter nickte ihrer Tochter zu, die eine Flasche sowie zwei Gläser auf einem Tablett aus der Küche brachte.
„Sie trinken doch so was“, fragte Christas Mutter und wies auf die Cognacflasche. „Französischer“, sagte sie.
„Danke, natürlich.“
„Mich fragt natürlich wieder keiner“, maulte die Tochter.
„Darüber können wir in zwei Jahren sprechen“, meinte ihre Mutter lächelnd.
Christa begleitete ihn nach seiner Verabschiedung schließlich bis auf die Straße.
„Nun bin ich gar nicht dazu gekommen dich zu fragen, wie es dir geht“, wandte Sebastian sich an die Freundin, „und wie es mit der Schule steht. Du wirst doch dieses Jahr fertig, was willst du dann eigentlich machen?“
„Ich weiß ja nicht, was ich darf. Vielleicht medizinisch-technische Assistentin haben die mir bei der Beratung gesagt.“
„Und das gefällt dir nicht?“
„Ich würde lieber Bibliothekarin werden.“
„Und?“
„Das geht doch nicht nach mir.“
„Na klar, nach Plan, weiß ich.“
Sie lachte kurz und nickte. „Was soll ich machen?“
Sebastian hob etwas ratlos die Schultern. „Dazu kann ich dir leider auch nichts sagen. Aber vielleicht kannst du ja später noch umsatteln.“ Er sah wieder auf seine Uhr. „Schade“, sagte er kopfschüttelnd, „ich muß jetzt wirklich los. Aber wir sehen uns ja wieder.“ Dann nahm er ihr Gesicht in beide Hände und verabschiedete sich mit einem raschen Kuß. „Mach’s gut“, und er schnappte sich sein Köfferchen und lief eilig los. Als er aus der Gutsmuthsstraße abbog, blickte er noch einmal zurück.
Christa stand noch immer da, ganz weit weg und sah ihm nach. Er hob die Hand, sie winkte ebenfalls, dann bog er um eine Hausecke. Ich muß jetzt umschalten, sagte er sich, die „Dienstfahrt“ geht weiter.
In Dessau traf er dann am Abend ein. Der Bahnhof, fand er, stand seltsam isoliert. Auf dem Weg in die Stadt erkannte er die
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