Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
eine Durchfahrt mit lebhaftem Verkehr. Kieslaster fuhren hinein und Betonkipper unter militärischer Bewachung. „Keine Russen“, sagte Hans-Peter. Die Freunde beobachteten eine gute Stunde lang alles aus relativer Nähe, notierten dann doch noch einige kyrillische Buchstaben- und Zahlenkombinationen, die in weißer Farbe auf der Rückseite einzelner russischer Militärlaster zu lesen waren. Diese Kennzeichen zeigten an, welche sowjetischen Einheiten sich noch in Dessau aufhielten. Nahe am abgesperrten Junkerskomplex an einer Ausfallstraße entdeckten die beiden schließlich ein Lokal. Wir gehen dort mal rein, beschlossen sie.
Als sie den Gastraum betraten, fielen ihnen, wie erwartet, einige Bauarbeiter auf, dabei war es noch am Vormittag, doch die Sonne brannte schon mächtig vom Himmel und Durst erweist sich an solchen Tagen eben als stetige Aufforderung ihn zu löschen. Nichts geht dann über ein gut gekühltes Bier. Das empfanden auch Hans-Peter und Sebastian so, die sich gleich rechts neben dem Eingang an der Theke aufstellten und dort ihr Bier tranken. „Ich glaube“, sagte Sebastian mit gedämpfter Stimme und Blick in den Gastraum, „das hier ist ein Ort der Informationen.“
Hans-Peter nickte zustimmend. „Wenn die jetzt schon hier sitzen“, sprach er ins halb geleerte Bierglas hinein, „wie wird’s dann erst nach Feierabend aussehen?“
„Ja, ja, lebhaft“, sagte Sebastian. „Wir müssen am Abend hier auftauchen. Ich meine, wir sollten uns jetzt verkrümeln, damit wir nicht unnötig auffallen, wenn wir nachher schon wieder erscheinen.“
Sie tranken ihre Gläser leer, zahlten und traten aus dem kühlen Dämmer der Gaststube ins grelle Sonnenlicht und die tropische Hitze dieses schönen Hochsommertages. Nachdem sie das Junkersgelände im Abstand so weit wie möglich noch einmal umkreist hatten, landeten sie zu Fuß und per Bus schließlich schwitzend und erschöpft wieder im Ratskeller. Dort verzogen sie sich an einen Tisch in einer Ecke.
„Ich weiß nicht“, sagte Sebastian, „ich halte es nicht für gut, wenn wir beide heute Abend da hingehen. Dort bloß ein paar Bier zu trinken, das bringt nichts. Wenn wir was erfahren wollen, müssen wir auch deutlicher werden.“
„Hm, nicht ungefährlich“, und Hans-Peter wiegte den Kopf.
„Eben. Deshalb sollte auch nur einer gehen und ich würde vorschlagen, ich mache das.“
Freund Hans-Peter widersprach dem nicht.
„Spätestens bis zehne“, sagte Sebastian grinsend. „Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, machst du dich schnellstens auf den Weg nach Berlin und bleibst auch dort. Ich denke zwar nicht, daß es so weit kommen wird, aber man kann ja nie wissen.“
„He! Nun mach’s mal halblang, das klingt ja bald wie in ‘nem schlechten Film. Titel: Der Opfergang.“
„So’n Filmtitel gab’s bei Hitler wirklich mal“, entgegnete Sebastian, „kurz vor Toresschluß glaube ich. Aber nun mal im Ernst, ich werde schon vorsichtig auf den Busch klopfen müssen. Wir wollen schließlich wissen, was die da bauen. Neue Gebäude? Neue Rollbahnen – wie viele, wie lang und so…Wann soll alles fertig sein?“
„Dann paß bloß auf, daß du nicht einen Spitzel interviewst.“
„Quatsch! Ich hör’ mich erst mal um, was die so reden.“
„Na, täusch dich mal nicht.“
„Mann, unke nicht. So schlimm kann’s gar nicht werden.“
Gegen neunzehn Uhr war Sebastian dann mit dem Bus zum Lokal am Junkerskomplex gefahren, das heißt, von der Haltestelle aus mußte er etwa hundert Meter in Fahrtrichtung laufen. Es war noch immer heiß. Im Bus war er wieder ins Schwitzen geraten. Die Sonne stand ja um diese Tageszeit noch hoch am Himmel, und am Lokal beobachtete er schon von weitem, ging es zu wie vor einem Bienenstock.
Schließlich handelte es sich bei den Arbeitern ja nicht nur um solche aus Dessau, sondern um Leute aus allen Gegenden der DDR. Wie üblich bei solchen Projekten hausten sie, etwa beim sowjetischen Uranerzabbau in Aue, der Stalinallee in Berlin, Eisenhüttenstadt bei Frankfurt…, in schnell aufgestellten Baracken. Das einzige Freizeit- beziehungsweise Feierabendvergnügen dieser auf Zeit entwurzelten Männer erschöpfte sich nun mal bei Bier, Karten und Schnaps in den nahe gelegenen Kneipen, solche wie diese dort, der Sebastian sich nun näherte.
Geld hatte er sich eingesteckt. Wer was erfahren will, muß auch mal was springen lassen, meinte er jedenfalls. Er war fremd in dieser Feierabendkneipe, wo ansonsten jeder jeden
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